Firenze, 9. Jan. 1910
S. Domenico
Hochgeehrter Herr Prof. E. Haeckel!
Mit diesen Zeilen spreche Ihnen meinen innigsten Dank aus für Ihre wohlwollende Zusendung Ihres lieben Bildes, der literarischen Heftchen & den farbigen Reproduktionen.
Freudig wurde ich überrascht, zu sehen, daß Sie sich auch praktisch mit der Kunst befassen, trotz Ihres großen, wissenschaftlichen Forschungsgebietes. Es ist meine Ueberzeugung, daß geniale Menschen nie einseitig sind, was mir Ihre verehrte Person wieder beweist! Die Morphologie der Natur wird entschieden am diskretesten erfasst durch eigenes Festhalten mit Stift oder Farbe; das gilt für den Künstler wie den Gelehrten. ||
Leider fehlt im Allgemeinen den Anatomen auch das Zeichnen, was ich immer bedaure; von dem Mediciner nicht zu reden.
Trotzdem ich Bildhauer bin, so gestatte mir doch ein Urteil über Ihre Aquarelle & zwar deßhalb, weil ich selbst bis vor eigenen Jahren tapfer Aquarell malte & schätze diese Art Malerei aus Auffassungsgründen ganz besonders. Die Reproduktion gefällt mir vorzüglich & die Auswahl der Motive zeigt ganz deutlich den künstlerischen Charakter ihres Schöpfers. – ||
Erlaube mir Ihnen als kleine Gegengabe die Photographie eines meiner plastischen Werke zu übersenden. Dasselbe verkörpert in schlichter Einfachheit eine tiefgreifende Lehre: „die Natur gebiert Leben & Tod zugleich“ – – und dürfte gerade diese Schöpfung für Sie speziell von freudigem Interesse sein. Offen gestanden: das Phyletische Museum in Jena wäre meine gewünschte Stätte, wo ich diese interessante Arbeit am liebsten sehen möchte. Wäre ich ein reicher Künstler, freudig würde Ihnen die Arbeit schenken! Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß ich bereit bin dasselbe dort aufzustellen, wenn die Ausstellungen passiert sind. Das Werkchen ist bis jetzt noch fast unbekannt, wie noch viele große plastische Schöpfungen, deren Veröffentlichung bevorsteht.
Empfangen Sie meine innigsten Grüße von Ihrem ergebenen
Fr. Schaufenbühl
scultore.