Friedrich Anton Schneider an Ernst Haeckel, Zeitz, 29. Juli 1858

Lieber Häckel!

Für die schleunige Antwort meinen besten Dank. Leider ersehe ich daß ich Ihnen die Hauptschwierigkeit gar nicht geschrieben habe. Der besagte Testirbogen liegt gar nicht in meinen Händen. Als ich am 18 May 1854 promovirte hatte ich diesen Testirbogen nebst einigen andern Papieren auf der Kanzlei abgegeben. Ob ich ihn nun wieder erhalten und verloren oder ob er noch dort a liegt weiß ich nach soviel Jahren nicht mehr. Wollen Sie deshalb so gut sein b dort hin zu gehen u. c nach zu fragen ob der Testirbogen des genannten Anton Friedrich Schneider noch zu finden u. auf Grund desselben ein Abgangszeugniß zu erhalten sei. Fragen Sie andern Fallsd nach, ob auch ohne Testate ein Abgangszeugniß zu erhalten sei. Wahrscheinlich müssen sie dann noch nach der Quästur gehen u. sich eine Bescheinigung übere die von mir gehöhrten Vorlesungen ausbitten. Ich bemerke dazu daß ich vom Wintersemester 1851/52 – Wintersemester 53/54 Vorlesungen gehöhrt habe. || Sollten sie das Zeugnis noch im Laufe dieser oder der nächstenf Woche erhalten können so muß ich sie bitten dasselbe zum Dekan Kummer zu tragen sonst kann es ruhig liegen bleiben bis ich nach Berlin komme. Die Sache ist wie sie sehen viel verwickelter als sie glauben. Übrigens möchte ich nicht daß sie mir im Stillen den Vorwurf machen daß g ich wohl die Angelegenheiten besser selbst besorgt haben würde. h Ich muß ihnen die Sache lieber einmahl selbst erzählen da sie das Papier nicht werth ist, soviel sage ich ihnen daß ich mich über diese Geschichte sehr ärgere. Der Dekan ist ein Pedant, der mich über das zur Promotion nöthige nur brockenweise u. unvollständig aufgeklärt hat. i Hinc illae lacrimae.

j Den Bericht über Virchow’s Rede k in der Nationalzeitung habe ich gelesen. l Jedenfallsm wird sie gedruckt, allein wenn n nicht ein Spätererer reichlichere Quellen zur Disposition hat, so glaube ich das man so wenig jetzt als je sich ein klares Bild, einen Begriff von dieses Mannes Geist machen wird. Er ist mir immer ein Räthsel gewesen u. || selbst Dubois Scharfsinn hat eso mir nicht gelöst, ja nicht einmal angedeutet. Ich meine eine solche p psychologische Analyse, wie wir sie von unsern großen Dichtern besitzen, wäre das Ideal einer solchen Rede. Ich habe früher einmal eine von Dubois über Erman gelesen, dieselbe schien mir tiefer einzudringen, dafür war aber der Stoff auch leichter.

Ich genieße hier ländliche Stille u. häusliches Behagen die mir im Gegensatz zum Berliner Leben sehr angenehm sindq r u. habe immer reiches Material um Stomatodologische Studien fortzusetzen. Sie werden sich ganz in das Studium der Hetero-Ptero u. anderer Poden vertiefen um als ein 2ter Cuvier von Messinas Gestaden heimzukehren. Ich sehe ihre Erfolge voraus u. werde mich glücklich schätzen der Freundschaft Cuviers zu rühmen. Ich habe hier Cuviers Vorlesungen über vergleichende Anatomie u. lese darin. Trotzdem es nur auf Wirbelthiere sich erstreckt muße ich ihnen sagen daß ich erst jetzt sehe was für ein geistreicher Mann das ist. Der wirft die tiefsten Kenntniße wie die Steinchen umher und s || thut sie in den richtigen Topf.

t Indem ich wünsche daß ihre Bemühungen um das Zeugniß nicht ganz erfolglos sein mögen, gestehe ich doch daß ich mir andernfalls den Kopf auch nicht abreiße, man giebt Geld aus u. hat für die Geschichte nichts. Leben sie wohl! Ich hoffe sie vor ihrer Abreise noch einmal zu sehen und verbleibe bis dahin Ihr

A. Schneider

Zeitz 29. July. 1858.

Sollten Sie das Geld nicht bedürfen, so behalten sie dasselbe bis ich wieder nach Berlin komme.

D. O.

a gestr.: u; b gestr.: und; c gestr.: zu; d gestr.: ferner; eingef.: andern Falls; e gestr.: für; eingef.: über; f eingef.: oder der nächsten; g gestr.: es im St; h gestr.: xxx; i gestr.: Deshalb; j gestr.: über; k gestr.: ha; l gestr.: ich; m korr. aus: jedenfalls; n gestr.: man; o gestr.: die; eingef.: es; p gestr.: A; q gest.: ist; eingef.: sind; r gest.: Doch; s gestr.: wi; t gestr.: Für die

Brief Metadaten

ID
17730
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
29.07.1858
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17730
Illustrationen
auf S. 4 Zeichnung mit Bleistift
Zitiervorlage
Schneider, Anton an Haeckel, Ernst; Zeitz; 29.07.1858; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_17730