Max Verworn an Ernst Haeckel, Bonn, 3. Juni 1911
Bonn, 3.VI.11.
Hochverehrter Herr Professor!
Mit lebhaftestem Bedauern haben meine Frau und ich von dem unglücklichen Unfall gelesen, der Ihnen kürzlich zugestossen ist. Wir können Ihnen sehr intensiv nachempfinden, wie furchtbar störend und vielleicht auch schmerzhaft Ihnen das Festliegen sein muss, besonders grade in der jetzigen Jahreszeit, aber wir hoffen und drücken den Daumen, dass es Ihnen recht bald wieder möglich sein möchte, aufzustehen und wenigstens etwas in der Stube und im Garten umherzugehen. Hoffentlich verläuft die Heilung glatt und schnell. Das darf man bei Ihrer beneidenswerth kräftigen || und lebensfrischen Natur wohl annehmen. Aber die Geduld wird ja selbst bei glattestem Verlauf der Heilung doch immer allzulange auf die Probe gestellt. Möchte es Ihnen nur wenigstens möglich sein, im Liegen etwas zu arbeiten, zu lesen und zu schreiben. Das hilft einem doch schliesslich immer am besten über solch unfreiwillige Ruhe hinweg. Ich denke, dass Sie Ihre Lebenserinnerungen, die wir doch alle unbedingt von Ihnen haben müssen, doch vielleicht während dieser Gefangenschaft etwas fördern können.
Übrigens überrascht uns Jena jetzt fortwährend mit aufregenden Nachrichten. Leo Schultzes Berufung nach Kiel habe ich von seinem Standpunkt aus zwar mit grosser Freude, von meinem aber mit sehr getrübten Empfindungen begrüsst, denn ich werde ihn nun auch wohl kaum noch zu sehen bekommen, wenn ich nach Jena komme. Die Zahl unserer alten || Jenenser Freunde schrumpft immer mehr zusammen und doch sind wir eben erst 10 Jahre von Jena fort! Kaum aber ist die Nachricht von Leo Schultzes Weggang abgeklungen, so halten die Zeitungen Einen schon wieder mit dem Fall Richter in dauernder Erregung. Ich bin mit dem Herrn in Mexico und den Indianerdörfern Arizonas etc zusammen gereist und bei der Gelegenheit hat ihm schon ein wütender Indianer, als Richter eine Frau photographieren wollte, seinen sehr werthvollen Zeisschen Apparat mit der Faust zertrümmert. Richter scheint somit positiv chemotaktisch auf halb wilde Menschen zu wirken.
Nun wünsche ich Ihnen aber wenigstens recht gute Stimmung für die Pfingsttage und nicht all zu grosse Belästigung durch das Liegen. Wenn ich Anfang August nach Jena komme, denke ich || Sie bereits wieder im Freien umherwandernd zu finden und bereit zu unserem üblichen Spaziergange nach Wöllnitz. Jedenfalls wünscht Ihnen von Herzen eine recht schnelle Genesung
Ihr getreuer
Max Verworn.