Max Verworn an Ernst Haeckel, El Tor, 7. Februar 1895

El Tor, 7.II.95.

Sehr verehrter Herr Professor!

Haben Sie zunächst vielen Dank für Ihren Brief, der mich sehr erfreut hat, und für Ihr liebenswürdiges Anerbieten eines weiteren Zuschusses zu unserer Reise. Letzteren können wir wirklich sehr gut brauchen, (je mehr, je besser). Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, denn ich dachte selbst schon lange daran, wollte aber nicht unbescheiden sein und Ihnen selbst schreiben.

Wenn es Ihnen gleich ist, würde ich Sie bitten, || das Geld wieder für Dr. Jensen anweisen zu lassen, da ich glaube, dass es ihm lieber ist, wenn er auch etwas zu der Reise beitrüge, denn sein Vater giebt ihm in der That keinen Pfennig. Würden Sie so freundlich sein und uns das Geld in Gestalt eines Cheques auf den Credit Lyonnais in Suez an das Deutsche Consulat daselbst zu übersenden? Der Credit Lyonnais hat in Suez einen Vertreter.

Über mein Buch habe ich auch die ersten Äusserungen in Form von Dankschreiben erhalten. Im allgemeinen sind dieselben günstiger ausgefallen, als ich dachte. Von Engelmann und Luciani, deren Urtheil ich sehr schätze, habe ich sehr begeisterte Zustim- || mung erfahren und selbst Du Bois Reymond, um den ich es eigentlich am wenigsten verdient habe, hat sich zu einem Brief herabgelassen und mir seine Anerkennung nicht versagt. Aber es wird wohl nicht lange dauern, so wird das Heer der Curvenphysiologen (Ludwigscher, Fickscher, Hermannscher Richtung etc) ihr Gejohle ertönen lassen. Vorläufig freue ich mich noch hier in der freien Wüstenluft weitab von diesen kleinlichen Herzen zu sein, die nie das ganze ins Auge fassen, sondern nur im einzelnen die Mängel herausfinden.

Das neue Jahr hat nicht besonders günstig angefangen. Von meiner Maus bekomme ich immer noch in jedem Briefe Klagen und || schlechte Nachrichten über ihre Geldverhältnisse in Amerika und da ich schon seit einigen Monaten vor meiner Abreise ebenfalls auf einen ferneren monatlichen Wechsel von Hause verzichtet habe, so rückt die Aussicht auf Heirath statt näher uns immer ferner. Obwohl ich mich zwinge, möglichst wenig an diese unerquicklichen Dinge zu denken, um mir nicht die paar Monate in der freien, offenen, weiten Wüste und am frischen, fröhlichen Meer unter lachendem Sonnenschein auch noch zu verderben, drängen sich diese Gedanken doch schon mehr und mehr auf je mehr die Zeit unserer Reise vergeht. Namentlich Abends kommen die Geister und machen mir bange.

Auf einem Ausflug nach Abu Suêra habe || ich vor kurzen einen Rhizopoden im Meer gefunden, den ich ausserordentlich gut für meine Untersuchungen brauchen kann. Er ist nackt, von orangerothen Körnchen erfüllt, hat einen grossen, hellen bläschenförmigen Kern, keine Vocuolen und Pseudopodien wie die Foraminiferen, nur etwas reicher verzweigt und mit äusserst lebhafter Protoplasmaströmung. Grösse ca 1 mm. Er kann sich jedoch in die Länge ziehen, und thut dies mit Vorliebe, zu einer ca 4 bis 5 mm langen Masse, die nur an beiden Enden lange Pseudopodienbündel entsendet. Mir scheint, die Form ist noch nicht bekannt. Wissen Sie vielleicht etwas darüber? Mir ist die Form interessant, weil man die Protoplasmabewegung, die ich augenblicklich noch vorhabe, || viel schöner daran studieren kann, als an Orbitolites. Jensen hat bei Orbitolites Embryonen in den Kammern gefunden und ist augenblicklich noch mit der Entwicklungsgeschichte von Orbitolites beschäftigt. Würden Sie wohl so freundlich sein und uns die Arbeit von Shandinn hierher schicken? Vielleicht würde sie noch rechtzeitig ankommen, um einige weitere Untersuchungen anzuregen. Oder könnten Sie uns vielleicht noch einige Punkte angeben, auf die man bei der Entwicklung der Foraminiferen besonders achten könnte? Wir würden Ihnen sehr dankbar sein.

Schliesslich bleibe ich mit der Bitte, Ihre Frau Gemahlin und alle Jenenser Freunde bestens von mir zu grüssen immer

Ihr treuer

Max Verworn.

Herr Kaiser und Jensen senden Ihnen durch mich ebenfalls ihre besten Empfehlungen.

Brief Metadaten

ID
17417
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Ägypten
Entstehungsland zeitgenössisch
Ägypten
Datierung
07.02.1895
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
beide 11,3 x 17,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17417
Zitiervorlage
Verworn, Max an Haeckel, Ernst; Tor (Sinai); 07.02.1895; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_17417