Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 28. August 1853

Merseburg d. 28/8 53.

Mein lieber alter Freund!

Herzlichen Dank für Deinen Brief; ich mag Dir den meinen nicht lange schuldig bleiben, daher empfängst Du schon jetzt einen Brief von mir. So will ich denn, Deinem Wunsche gemäß, sogleich zu einer Reisebeschreibung übergehen. Vorerst aber noch einmal schönen Dank für die mir zugeschickten Notizen über diese Reise, Dein Brief ist verschiedenemale dort geöffnet u. durchgelesen worden.

30/8 53.

Staune nicht zu sehr, lieber Häckel, daß mir so bald schon die Geduld gerissen ist beim Schreiben. Ich saß da, wollte meinen Reisebericht anfangen – und kaute an der Feder u. dachte der schönen Zeiten u. wünschte u. sehnte .…, kurz ich konnt’s nicht mehr aushalten, sprang auf und lief zu Weber, der am Freitaga (26/8) von einer Harzreise zurückgekommen ist, Sonnabend, während ich bei ihm war, auf einmal krank wurde, Schwindel u. s. w. kriegte, Sonntag aber wieder von den Toden [!] auferstanden war und gestern nach Hause gewandert ist. Das ist doch manchmal ein närrischer Kauz! Da wohnt er mit Hetzer zusammen, der eher als er abreist, sagt ihm nichts von einer vorhabenden Reise; plötzlich erfahren wir, daß er im Harze sei und gar erst nach dem Riesengebirge oder der sächsischen Schweiz gewollt habe! – Doch ich wollte ja von meiner Riesengebirgsreise (die erste wirkliche Reise, die ich gemacht) erzählen. Ob ich wohl je wieder so was Wundervolles zu sehen bekommen werde? Deine Rheinufer sind lange nicht so schön, das kann nicht sein, obgleich ich auch die gern sehen würde –, aber wenn ich jetzt wieder nach dem Riesengebirge könnte, sofort wäre ich dort und nirgends sonst. – Doch genug der Schwafelei. – Die Reise dauerte von 13/7–5/8 also 24 Tage, die ich dann auch tüchtig benutzt habe. Wie schade, daß Du oder irgend ein Anderer aus dem Kleeblatt nicht mit dabei sein konntestb; so gut wie ich es getroffen habe, findet man es gewiß selten (besonders in botanischer Hinsicht). Zuerst fuhr ich von Eilenburg 13/7 früh 3 Uhr ab u. in einer Tour bis Breslau. Schon die ganze Strecke von Dresden bis Görlitz gefiel mir, der ich so lange keine Berge u. Wälder (Bergwald, Tannenwald) gesehen, außerordentlich. In Görlitz wäre ich beinahe die Nacht geblieben, um die Landeskrone, ein sich sehr hübsch präsentirender Berg, zu besteigen, doch die Ungeduld trieb mich weiter durch die schrecklich trostlose Heiden-Gegend bis Breslau. Hier wollte ich zuerst Besuche machen, um mir noch von wegen Standort auf dem Riesengebirge Raths zu erholen; doch schlug dies fehl, da der eine Herr (Prof. Göppert) nicht zu sprechen, der andere gar nicht in Breslau war. Blamirt rutschte ich Nachmittag ab bis Ingramsdorf vor Schweidnitz; Zobten besucht, ein reichhaltig sein sollender Standort, ich fand bloß Pyrola radifolia et secunda, Convallaria verticillata (verblüht), Cytisus capitatus, sonst noch einige Bekannte, als Daphne Mezereum, Prenanthes purpurea et muralis etc. Aussicht schlecht, viel Nebel. So ging ich nur nach Schweidnitz, wohin ich eigentlich nicht gewollt hatte, um dort einen Botaniker zu besuchen, Apotheker Schmidt, der hier Provisor in der Stadtapotheke war, den ich auch fand und der mir viel mittheilte. Bei ihm lernte ich auch einige Sachen kennen, habe ihm auch Einzelnes ausgesucht, z. B. Sturmia Loeselii, einige Moose etc. Nun ging’s den 3ten Tag durch das schöne Schlesierthal, Kynsburg (mit Galium rotundifolium), Tannhausen, Charlottenbrunn. Ich weiß nicht, ob Du diese Punkte alle kennst, sie waren wirklich meistc prächtig. In den botanisch merkwürdigen neuend Anlagen des Dr. Beinert in Charlottenbrunn führte mich der Besitzer selbst herum. Da hat er denn eine große Menge vaterländische, Alpen- und ausländische Pflanzen kultivirt und zwar auf sehr schlechtem Boden und mit merkwürdigem Glück. Von ihm erhielt ich auch 2 Wedel von Woodsioa ilvensis, die er bei Charlottenbrunn entdeckt und in seine Anlagen verpflanzt hatte. Nun Waldenburg, Fürstenstein mit dem prächtigen Fürstensteiner Grund (aber nichts Botanisches), zurück bis fast nach Waldenburg, dann geraden Wegs über die einsamen Berge anfangs bei Regen nach Friedland, um von dort Adersbach zu erreichen. In meinem Plan lag nun, von Adersbach durch Böhmen bis zur Schneekoppe vorzuschreiten; doch wollte daraus nichts werden, da mich die liebenswürdigen böhmischen Schafsköpfe von Grenzjägern und Grenzbeamten nicht mit meinem vom Magistrate bescheinigten Schulpaß (mit desgleichen war ich im vorigen Jahr in Teplitz) durchlassen wollten. Bis Adersbach durfte ich zwar, mußte aber dann wieder zurück. – Das sind doch prachtvolle Felsen! Sie heimeltene mich von der sächsischen Schweiz her ordentlich noch an, u. doch schauerts Einen da. Noch etwas Großartiger, aber das schöne Echo entbehrend, sind die nahen Weckelsdorfer Felsen, die Du wohl auch gesehen hast? Zur Besichtigung beider Felsparthien brauchten wir einen vollen Tag (Nachmittag bis wieder Mittag). Das erstemal Ungarwein, aber geprellt, später viel besser und billiger. In den Weckelsdorfer Felsen fand ich Rosa alpina, Viola biflora, Mulchedium alpinum, Thalictrum aquilegifolium, Ranunculus aconitifolius, schon Vorboten des Riesengebirges. Von hier mußten wir also wieder über die Grenze; ich war nämlich von Friedland in (wie ich bald fand scheußlicher) Gesellschaft, die nur das einzig Gute hatte, daß sie das theure Leben dort billiger machen half; sonst mußte ich gute Miene zum bösen Spiel machen, suchte mich sobald als möglich von ihnen zu trennen. Dies geschah in Schömbergf, von || wo ich wieder in die Grenze zu kommen suchte, auch glücklich bis in eine sogenannte Stadt, Schetzlar, und bis an deren Wirthshaus kam,g nachdem ich das Grenzzollamt umgangen hatte. Da aber packten mich 8 Stück Grenzjäger an, forderten Paß, fanden meinen nicht gültig, und so brachten mich nach vielem Hin und Her reden 2 von ihnen bis an das Zollamt zurück 1 Stunde weit. Von deren respektiven Bornirtheit (schade, daß es nicht noch ein bezeichnenderes Wort giebt) hier ein Beispiel: Nachdem ich schon hundertmal gesagt hatte, daß ich nicht gewußt hätte, daß ich gerade den Weg über Königshau (Zollamt) hätte gehen sollen, sondern auf meinem Wege auch ein Zollamt zu finden geglaubt hätte, zeigten mir diese beiden Begleiter (die übrigens sehr höflich waren) von weitem Königshau und sagten: „sehn Se, da liegt Königshau, da hätten Se gehen sollen.“ – „Das konnte ich aber doch nicht wissen.“ – Nach einer weiteren Viertelstunde: „Sehn Se, das ist Königshau, und das große Haus da, das ist das Zollamt, da hätten Se hingehn sollen.“ – Oder ein anderes Stückchen: die beiden Herren Schafsköpfe wußten wahrhaftig alle beide nicht, was Dresden sei u. wo es läge; ich machte ihnen erst deutlich, (ob sie’s begriffen haben, weiß ich nicht, hoffe es aber von meinem Lehrergenie) daß Dresden die Hauptstadt von Sachsen sei – – und dabei versicherte mir nachher Einer, „er wäre auch Student gewesen.“ !! o tempora … ! o sancta simplicitas. – – Ich könnte noch manche Seite voll schreiben, wenn ich Dir alle meine Fahrten erzählen wollte. Von dem vorliegenden Abenteuer war das Ende, daß ich wieder über die Grenze nach Schlesien mußte und nicht wußte, was h zu thun sei, da ich durchaus von der böhmischen Seite (Riesengrund, Teufelsgärtchen etc.) nach der Schneekoppe i kommen wollte. Endlich gelang es mir mit Hülfe einer Legitimation, die ich mir vom Liebauer Bürgermeister geben ließ, wenn gleich nach vielen Umständen nach Böhmen u. durch den Schlagbaum gelassen zu werden. In Liebau hatte ich unterdeß, um vor der Haupttour, die mir jetzt bevorstand, so ungehindert als möglich zu sein, das 2te Pflanzenpacket nach Hause geschickt. Was für ungemeine Reichthümer ich gesammelt habe, ersiehst Du an den beiliegenden Zetteln, die ich Dir zum Auswählen schicke. In den 3 Wochen habe ich über 100 neue Sachen gefunden, u. j in diesem ganzen Jahre bis jetzt außerdem 5 neue Arten, macht also wenigstens 20 mal so viel, das Verhältniß derk Zeit unberücksichtigt, die ich hier u. dort war, sonst möchte leicht 202 mal so viel herauskommen. Es ist aber auch Vieles mit schwerer Mühe u. Schweiß geholt. Im Teufelsgärtchen, wo ich unglücklicherweise den Hauptfleck verfehlte, kullerte ich ein paar Klaftern herunter; und wäre ich beim Rückwege, als ichl Arabis alpina aus der kleinen Schneegrube holte, nicht gar zu glücklich gewesen, so würde ich jetzt nicht hier sitzen und an Dich schreiben und mich meiner Schätze und aller Fahrten mit Freuden erinnern können; denn es fehlte weniger als ein Haar, so stürzte ich in die Schneegrube hinunter und da kennst Du wohl die Grube noch genug, um sowas lebensgefährlich finden zu können. Ich bitte also vorzüglich Arabis alpina mit verständigen u. geweihten Augen zu betrachten, wenn ich Dir’s schicken werde, weil dies mit wahrer Lebensgefahr geholt ist! Ich war dort zwar nicht allein, aber blos ich war auch der Tollkühne, und beim Hinunterfallen hätte mir doch Niemand geholfen. – Aber, redeamus, das Teufelsgärtchen war der erste urbotanische Ur-Standort, den ich besuchte, doch wie gesagt, wo ich die Hauptsache verfehlte, von der Schneekoppe aus wurde mir der richtige u. eigentliche Fleck gezeigt. Es ist dies ein schmales, etwa 10' breites Streifchen, das an der Seite eines dünnen Büchleins sich hoch hinauf an dem sehr steilen u. hohen Brummberg zwischen dem Knieholz hinaufzieht, kurz begrast u. mit manchen Kräutern begabt (Sachen die überall stehen: Ranunculus aconitifolium, Anemone alpina et narcissiflora, Alectorolophus alpinus, Primula minima (verblüht), Thaliatrum aquilegifolium, sodann Rosa alpina, Hieracium alpinum, Achyrophorus helveticus, Cirsium heterophyllum, Veratrum album, Bartsia alpina, Lycopodium Selago et selagoïdes, Alsine verna, Scabiosa lucida, Allosorus crispus (Bibernellfleck unterhalb des eigentlichen Teufelsgärtchens), Asplenium viride‚ Eriophorum alpinum, Sorbus Aria, Pleurospermum austriacum etc. etc. Da giebt’s gleich so viel, daß man nur wenig einlegen kann, um Platz zu sparen. Ich wußte nach 2 Tagen schon nicht mehr wohin u. war froh am 6ten Tage in Warmbrunn mich des ganzen Packetes, das ein ansehnliches Fuder geworden war, entledigen zu können. Leider ist unterwegs auf der Post Vieles verdorben, so daß ich von Manchem selbst blos ein verschimmeltes Exemplar besitze, gute Exemplare sind sehr selten erhalten. An meinem Bruder, an welchen ich die Pflanzen schickte, liegt kein Theil der Schuld, im Gegentheil hat sich dieser wirklich für mich aufgeopfert u. so auch noch sehr Vieles gerettet. Ja wenn man dort ein Halbjahr bleiben könnte! – 31/8.

31/8.

Nun, im Riesengrundem machte das Teufelsgärtchen (T) erst einen Theil der botanischen Merkwürdigkeiten aus, da giebt’s noch manchen Standort, die außerdem alle nicht gar zu häufig besucht zu werden scheinen – von Botanikern natürlich, andre Leute sehen die Orte kaum, die angestellten Führer gehen nicht einmal mit nach dem Teufelsgärtchen hinauf, wenn Jemand dahin will. Das alte Bergwerk (Sagina saxatilis, Scabiosa lucida [hier nicht angegeben], Saxifraga oppositifolia [verblüht], Aspidium Lonchitis) liegt nach der Koppe (K) zu am Kiesberge auf der anderen Seite des Riesengrundes (B). Übrigens ist dieser Grund wundervoll. Im Kessel bildet die Aupe Fälle, nachher ist sie unterirdisch u. kommt erst später wieder zum Vorschein. Die hohen, hohen Berge (die Koppe grenzt theilweise selbst den Riesengrund in der Gegend des Kessels ab u. die übrigen Berge sind nicht viel niedriger), das zerstreut daliegende aus Bauden bestehende Groß-Aupa, Alles – wundervoll; schade, daß Du hier nicht gewesen bist. – Auf der Koppe prachtvoller Sonnenuntergang u. sehr reiner || Sonnenaufgang, aber keine ordentliche Fernsicht, die ich überhaupt nie gehabt habe. Hier oben traf ich meinen Apotheker Schmidt zufällig mit einem Bryologen. Wir 3 gingen den nächsten Morgen nach dem kleinen Teich, wo wir einen 4ten Botanicus fanden, aus Leipzig, mit dem ich nachher auch in der Schneegrube war. Ich kann unmöglich Dir Alles niederschreiben, was ich hier und an den übrigen Standorten gefunden habe, es würde zu lange aufhalten; überall gemein waren: Bartsia, Swertia, Rhinantus alpinus, Ranunculus aconitifolius, Anemone alpinum et narcissifloran, Aconitum Napellus, Pedicularis sudetica, Primula minimao, Phleum alpinum, Agrostris rupestris etc. etc. An der Koppe überall Luzula spicata, Carex atrata, seltner Juncus trifidus, Poa laxap, ziemlich selten: Veronica bellidioides, Geum montanum (nur 1 Exemplar blühend). Leider habe ich Anemone alpina nur verblüht gefunden, u. was ich von Früchten mitnahm, ist verschimmelt. Deine Moehringia muscosa habe ich nicht gefunden, Direktor Wimmer, den ich später in Schmiedeberg sprach, bezweifelt das Vorkommen überhaupt völlig, es ist ihm von einem Münchner 1 Exemplar, angeblich im Isergebirg gefunden, gezeigt worden, doch meint er, dies sei ein schlechter Witz von jenem gewesen! – Später fand ich im grünen Grunde ein Dingelchen, das ich zuerst für Moehringia hielt, dann aber als Montia rivularis bestimmte (?), vielleicht schicke ich Dir das Pusselchen jetzt gleich mit (oder Peplis portula??), wenn ich’s finden kann. – Am kleinen Teich dagegen 1 Moos: Dichelyma falcata (Fontinalis folcata), nach Rabenhorst nur dort am Ausfluß des kleinen Teichs vorkommend!! – Was ich sonst von Moosen (wenig) habe, weiß ich noch nicht, kann auch nicht zum Bestimmen kommen, z. B. aber ist dabei 1 Splachnum, Bartramia fontana, Polytrichum alpinum (?) etc. –

Vom großenq Teich nach der weißen Wiesenbaude herüber, dann allein durch den prächtigen grünen, langen u. einen Theil der Sieben-Gründe bis St. Peters, ein Weg, der von keinem Reisen gemacht wird, aber über den im ganzen Riesengebirge nichts geht. In St. Peters, wo es wundervoll ist, istr auch der Ungarwein famos. Von hier ging es nun nach der Kesselkoppe, deren Lage ich Dir nicht beschreiben kann, da dort viele Berge Kesselkoppe oder auch Kesselberg heißen; es ist dies ein botanisch reichhaltiger Standort (Delphinium elatum, Poa sudetica, Botrychium lunaria etc. ) westlich von Krkonosch (Krkonosch, in Böhmen) gelegen, welchen Bergrücken Du freilich auch nicht kennen wirst, der manchmal von Botanikern aus Hohenalb besucht werden soll, sonst nicht. Leider wurde ich vons hier schon bald durch ein Gewitter vertrieben, so daß ich nur die kleine anliegende Kesselgrube halb habe absuchen können. Von hier nach dem Pantschefall (den Du Purzelfall nennst)t mit dem allerdings wundervollen Blick in die 7 Gründe etc., weit schöner als am Elbfall, der übrigens auch prächtig ist. Du schriebst, daß Du am Pantschefall ein „schönes Hieracium“ gefunden habest, wenn Du nicht das wenig schöne Hieracium alpinum meinst, so vermuthe ich stark, daß es Achyrophorus helveticus gewesen ist, dieser wenigstens steht dort (auch sonst nicht selten) u. präsentirt sich sehr. Sieh also in Würzburg einmal nach, was Du hast. Sonst fand ich kein Hieracium dort. Es wundert mich aber, daß Du auf den großen Elbwiesen nicht weit u. breit die schöne Carex pauciflora gesehen hast, allerdings versteckt sieu sich etwas zwischen Moos. Nun kam ich nach der Schneegrubenbaude, wo ich verabredeter Maßen mit meinem Leipziger zusammentraf. So habe ich nun zwar den Kamm von den Teichen bis zu den Schneegruben (hohe Rad) nicht gesehen, aber dafür die wundervolle Partie nach St. Peters gemacht, wo es mehr Schönheiten giebt. – Am andern Morgen nach einem prächtigen Sonnenaufgang in die kleine Schneegrube; über die Abenteuer daselbst habe ich schon berichtet. Das ist ein famoser Standort, der Basaltsfelsen, so was giebt’s vielleicht in ganz Deutschland nicht mehr: Saxifraga muscoides et bryoides, Rhodiola rosea, Arabis alpinum, Ranunculus nemorosus, Gräser, Orchideen etc. etc. Alles an Einem Punkte zusammen und unten nach der großen Schneegrube zu: Linnaea borealis, doch ziemlich selten blühend. – Ich muß mich kürzer fassen; sonst bekommst Du in Deinem Leben keinen Brief. Könnte ich Dir lieber mündlich erzählen! – Nach Besuch des hohen Rades, des Randes der großen Schneegrube nach der neuen schlesischen Baude, Zackenfall (vorher Listera cordata), Josephinenhütte. Bis hierher prächtiges Wetter, so daß ich ohne allen Weg oben auf dem Kamm durch die Sümpfe u. Knieholz sehr oft gelaufen bin. Jetzt aber wollte sich das Wetter ändern, Hochstein u. Sturmhaube im Nebel, doch hellte es sich später wieder auf. – Mit was für Empfindungen ich vom letzten Knieholz Abschied nahm, kann ich Dir nicht beschreiben, ein wahrer Katzenjammer kam über mich, u. daß ich jetzt im, gleichwohl berühmten, Hirschberg-Warmbrunner Thale herumbummeln sollte, wollte mir gar nicht gefallen; doch fand sich das Vergnügen später wieder, da die Gegend doch gar zu prächtig ist, besonders der reizende Anblick des rohen Riesengebirges. Hier habe ich nun eine Menge Partien gemacht: Kahlfall, Kynastv, Warmbrunn, Stohnsdorf, Prudelberg, Erdmannsdorf, Fischbach, Falkenberge, Buchwald, Schmiedeberg, Abstecher nach Kirche Wang, || Annakapelle, Hainfall (hier wäre ich beinahe nach den Schneegruben u. dem Kamm zurückgekehrt, wenn es nicht zu spät gewesen wäre, und außerdem schlug den andern Tag das Wetter da oben ganz um, der ganze Kamm blieb bis zu meiner Abreise u. wahrscheinlich länger in dichten Nebel gehüllt). Dann machte ich, um Verwandte zu besuchen, eine Tour nach Landshut, Kupferberg, Tiefhartmannsdorf und kam über den Kapellenberg mit prächtiger Aussicht nach Hirschberg zurück. Hier Boberthal, die „Häckelbleiche“ existirt seit 2 Jahren nicht mehr, sondern ist Feld geworden. Warmbrunn, Bieberstein, Hochstein (wo das Wetter immer schlechter, d. h. bloß auf dem Kamm wurde, daher keine Aussicht), Queisthal, (da der Iserkamm ebenfalls in Nebel stak), Flinsberg. So hatte ich also von dem herrlichen Riesengebirge Abschied genommen, völlig befriedigt, und eilte über Zittau nach Hause. Was ich von Flinsberg aus bis Zittau noch für Fahrten gemacht habe, kann ich nur andeuten. In (böhmisch) Friedland erkundigten sich wieder die lieblichen Grenzjäger nach mir, und ich sollte, da ich abermals ohne ordentlichen Paß befunden wurde, schon per Expressen über die Grenze gebracht werden (natürlich nach Zittau, was mir höchst eingalw [!] gewesen wäre); doch mußte einer der (übrigens hochnäsigen) Beamten ein menschliches Rühren mit dem verlaufenen „Studenten“ gefühlt haben; kurz man gab mir endlich mein Paß zurück u. hatte blos darauf geschrieben: „Wird wegen Mangels der nöthigen Reiselegitimation über die Landesgrenze zurückgewiesen“, mit dem mündlichen Bemerken, daß ich mich unverzüglich zu meiner Ortsbehörde zurückzubegeben habe; doch wurde mir gestattet, erst noch zu essen. Hierauf blieb ich unverschämter Weise noch 4 Stunden in Friedland, u. bummelte dann ganz gemüthlich nach Zittau. Wie mich diese Geschichte, die ich Dir leiderx nicht ausführlich erzählen kann, amüsirt hat, kannst Du Dir denken! – Im Durchschnitt bin ich also überall in Böhmen gewesen, wo ich hin gewollt hatte; diesmal sogar auf dem nämlichen Wege, den ich mir vorgesetzt hatte. Bei Zittau sah ich noch die Ruine Oybin, prächtig, besonders der Weg dahin, und die Lausche. Hiermit aber schloß ich die Fußwanderung und kehrte nach Dresden u. Eilenburg zurück. – Da hast Du eine kleine Skizze, die Dich vielleicht stellenweise amüsiren wird, was Dir langweilig vorkommt (denn das pflegt in einer Reisebeschreibung oft zu sein) übergehe u. laß einmal 5 gerade sein. –

Du willst noch etwas von Merseburg hören? – – Nun da giebt’s nicht viel. Die diesmaligen Abiturienten sind sehr oben auf, die schriftlichen Arbeiten sind sämmtlich genügend; 4 lateinische Arbeiten sind sogar recht wohl genügend! Die faulen Menschen, – das ist die reine Ironie des Schicksals. – Wenn ich an den nächsten Winter denke: hu – bei die Kälte! – prrrr. – Zierhöldchen ist noch der alte, es giebt noch nichts „Neues“. – Aber Meier: das ist eine alte Neuigkeit, aber riesig. Neulich hatte ich das Fenster, aus dem man am besten hinüber nach Ritter’s sehen kann (und das thut Meier, wenn dort Besuch gebeten, hätte ich bald gesagt: gebettyt ist), voll von Pflanzen liegen, die ich umlegte, so daß er nicht dahin kommt; das hat er mir aber so übel genommen, daß er mich 24 Stunden lang ansah, als ob er mich fressen wollte. ’s ist doch ein närrisch Ding, die – Neugierde. – Osterwald‘s befinden sich wohl, lassen natürlich grüßen, sowie alle andern Bekannten. Ernst Osterwald kann jetzt laufen, Karl Osterwald wächst auch recht heran.

Nun was soll’s sonst geben? – Ja so – eine große Merkwürdigkeit: unser Haus wird jetzt berappt und (?) angestrichen –, denn warum? Alles blos aus Patriotismus, weil nämlich der König nächstens kommt. Da es soll es viel Spektakel hier geben, man munkelt von Illumination; ferner sollen ein Chor Sänger aus Weißenfels, die bestellt sind, als Belohnung erhalten pro Mann: 1 Dreierbrot, 1 Bratwurst u. aus besonderer Gnade 1 saure Gurke. Das ist doch aller Ehren werth! Schade, daß das Kladderadatsch nicht weiß! – Kurz die Geschichte wird ordentlich großartig. Eine Furcht u. Mitleid erregende Ehrenpforte am Thor ist auch schon gebaut! y ist auch das tragische Element nicht vergessen (Furcht und Mitleid).

Doch genug, leb wohl, amüsire Dich gut, finde noch viel, z. B. Gnaphalium uliginosum varietas nudum; hast Du Lycopos exaltatus nicht gefunden? Sieh auch recht viel durch Dein Pracht-Mikroskop und entdecke viel Neues. Die Moose werden Dir nun gewiß viel leichter zu bestimmen werden; ich kann hierin vor der Hand nichts tun.

Noch eins wollte ich Dir sagen: wenn Du später die Gewogenheit haben solltest, mir von Deinen gefundenen botanischen Schätzen etwas zu schicken, so begleite jedes mit vorschriftsmäßigem Zettel (d. h. mit Namen, bei nicht Norddeutschen bitte ich um Synonyme, Standort, Unterschrift (Datum?)), ich werde Dir die meinigen ebenso schicken. Ich liege sehr mit meinem Pflanzen im Argen, da ich kein Papier auftreiben kann, also Alles liegen lassen muß. (seit 2z Jahren)

Nun also leb wohl, kommst Du nicht einmal wieder hieher oder nach Halle? Es giebt doch Manches zu Schwatzen, was sich nicht schreiben läßt.

Dein treuer Weiß.aa ||

Über Dein Mikroskop kann ich nicht bestimmt urtheilen, dazu müßte ich es gesehen haben, aber jedenfalls ist es so, daß es Lob verdient, – aber der Preis! –bb ||

Das Einzige, was ich trotz allen Suchens nicht habe finden können, ist Fumaria capreolata, obgleich ich 2 mal in Warmbrunn war und suchte.

Die kleinen beiliegenden Zettel gehörten zu dem vorigen Briefe (Abschrift von Webers Zetteln an mich), Webers Umstände scheinen sich wieder gebessert zu haben, doch sind diese Zeilen noch immer amüsant.cc

a gestr. Sonnabend; eingef. Freitag; b korr. mit Bleistift aus: konnte; c eingef.: meist; d eingef.: neuen; e gestr.: kamen; eingef.: heimelten; f gestr.: Liebau, eingef.: Schömberg; g gestr.: ohne an einen; h gestr.: ich; i gestr.: zu; j gestr.: seit; k eingef.: das Verhältniß der; l gestr.: und; eingef.: als ich; m mit Großbuchstaben bezeichnete Lageskizze nebenstehend; n eingef.: Anemone alp. et narc.; o eingef.: Primula m.; p eingef. Poa laxa; q gestr.: kl.;, eingef.: gr.; r eingef.: ist; s eingef.: von; t eingef.: (den Du Purzelfall nennst); u gestr.: es; eingef.: sie; v eingef.: Kahlfall, Kynast; x gestr.: ganz angenehm; eingef.: höchst eingal; y gestr.: also; z gestr.: 1½, eingef.: 2; aa Text auf dem linken Rand von S. 4, um 90° gedreht: Nun also … treuer Weiß.; bb Text auf dem linken Rand von S. 3, um 90° gedreht: Über Dein … Preis! –; cc Text auf dem linken Rand von S. 2, um 90° gedreht: Das Einzige … immer amüsant.

Brief Metadaten

ID
16626
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen Provinz Sachsen
Datierung
31.08.1853
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,3 x 28,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16626
Zitiervorlage
Weiß, Ernst an Haeckel, Ernst; Merseburg; 31.08.1853; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16626