Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg und Eilenburg, 26. Juni–12. Juli 1853

Merseburg 26/6 53.

Mein lieber alter Häckel!

Obwohl es ein wüthender Leichtsinna von mir ist, bei dieb Zeiten (wie ich Dir bald auseinandersetzen will) einen Brief an Dich anzufangen, so kann ich doch mir selber das Maul nicht stopfen, denn ’s ist einmal so: wes des Herz voll ist, des läuft der Mund über. Nun so laß laufen! –

Vor Allem herzlichen Dank für Deinen Brief, Sendung, Vorschläge, Rathschläge u. s. w., u. s. w. Er hat mich aus einem schrecklichen wüsten Hinstarren und Hinbrüten, Nichtsdenken und Nichtswünschen herausgebracht; kurz ich war in völlige Apathie versunken, bis Dein Brief ankam und mich wenigstens etwas vornehmen ließ. Doch ich will nicht so in Räthseln sprechen. Du wunderst Dich wahrscheinlich genug, wie man vor einem „iter in gigantum montes faciendum“ so resp. theekesselig sein kann; ich kann Dir auch nicht Alles so genau auseinandersetzen, dazu müsste ich vielmehr [!] Zeit haben. Ein paar causae kannst Du Dir aus dem Folgenden heraussuchen. – Was bedeuten die Zeiten, wo es Leichtsinn, u. zwar wüthenderc Leichtsinn ist, Briefe zu schreiben? Das kann ich Dir ganz genau sagen:

1.) hat das Pennal wüthend zu oxen, als z. B. bis Mittwoch (in 3 Tagen) eine noch nicht angefangene deutsche Arbeit zu liefern, bis Donnerstag eine noch nicht angefangene lateinische Arbeit, bis desgleichen ein noch nicht angefangenes Religionsheft zu liefern, bis desgleichen ein noch nicht angefangenesd griechisches Exercitium zu machen, der andern Arbeiten gar nicht zu gedenken.

2.) weiß ich nicht wo mir der Kopf mit meiner Reise steht: in 14 Tagen soll’s losgehen und ich habe noch keinen festen Plan, den ich erst nach Empfang einer Karte, auf die ich schon lange laure, die bei Stollberg bestellt ist, vollenden kann. Hierüber noch mehr unten.

3.) wird man vom Oxen durch viele Dinge abgezogen, so soll morgen Kinderfest sein, was auch wieder Zeit genug wegnimmt.

Das sind schon Gründe genug, die ein Nichtschreiben entschuldigen würden: um aufrichtig zu sein, hatte ich mir’s auch eigentlich gar nicht vorgenommen, blos Dein Zufalls-Wink, Wunk, Wunsch, der || mir immer (? –) Befehl ist – verleite [!] mich zu solchem Blödsinn.

Eilenburg den 12/7 53.

Brevitate laconica utendum est! Morgen geht’s nach Breslau. – Schenkbarer Katzenjammer damals (26/6) hinderte mich weiterzuschreiben, und jetzt habe ich von der erwähnten deutschen Arbeit erst 1/2 abgeliefert, von der zweiten 1/2 erst (1/2)2 gemacht u. (1/2)3 abgeschrieben, das Übrige ist theils noch (????) in meinem Kopfe (der ärmste, wenn’s noch da drinne sein sollte!) theils noch nicht abgeschrieben. Sed haec hactenus. – Studierstunden, die für die Pensionäre (von wegen Durchfall durchs Abiturienten Examen etc.) eingerichtet sind, hinderten desgleichen am Briefschreiben, sowie an Allem (Botanisiren etc. etc., ich bin seit Ostern 1 mal botanisiren auf dem Bienitz gewesen, um Merseburg gar nicht), trotzdem thut man nun, da man soll und muß, erst recht nichts. – Manches, was ich Dir zuerst schreiben wollte, weiß ich theils nicht mehr, theils muß ich eilen, den Brief fortzuschicken. – Auf jener Tour (mit Weber) nach dem Bienitz haben wir gefunden:

Carex obtusa Liljeblade

und zwar wo es Garcke angiebt, im südwestlichen Theile, ziemlich häufig auf einer kleinen Stelle, bei einer famosen Linde. Du sollst es später erhalten. 1 Exemplar hast Du schon bekommen im vorigen Briefe.

Der Bienitz verliert immer mehr seinen Reiz auf mich, ’s ist gut, daß (?) ich nicht lange mehr in Merseburg bleibe.

Vorigen Sonnabend war ich von Schkeuditz aus dort, fand im Allgemeinen viel Heu, sonst nichts (verblüht: Nardus stricta, Festuca myuros). Bei Leipzig habe ich gestern ebenfalls nichts gefunden. Wenn ich nur erst ganz von hier fort wäre! ’s thut Noth! Man gehtf sonst moralisch und botanisch ganz zu Grunde. – Da findet Weber noch genug (vergleiche den beiliegenden Zettel). Weber hat vor kurzen auch

Trifolium parviflorum Ehrh.

gefunden; wie es scheint ein ur-famoses, aber ur-niedliches Dingrichs [!]. Sed sat sit von das.

Meine Tour manks Riesengebirge wird ein wenig sehr anders, als ich zuerst dachte. Zuerst Breslau, Schweidnitz, (Zobten) Adersbach, Freiheit, Teufelsgärtchen, Riesengrund, Koppe, Teiche, nicht Kamm, sondern wieder herüber nach || St. Peters etc. Elbfall etc. – kurz etc. Ich bin zu ungeduldig, um Dir im Voraus, wo ich noch nichts kenne schon viel schreiben zu können.

Für deine botanischen Rathschläge danke ich sehrh, Edwin Müller hatte ich mir schon angeschafft, desgleichen habe ich 2 Karten, doch Adieu, ’s ist schon 7 Uhr, ich muß packen, um morgen früh 3 Uhr per Post fortzukommen und noch nach Breslau zu kommen. Eine Bemerkung noch: ich werde allein sein. Auf Dein Wohl (– i werde nicht gerührt –) ein Glas Ungarwein im Riesengebirge! Und 1 Glas auf gutes Wetter für mich. Gut Wetter soll leben!

Dein treuer, im Allgemeinenj ungeduldiger Freund

Weiß

Nach Neusalz kann ich leider nicht reisen. Heu geht nach Eilenburg, wo es schon voriges Jahr gut eingelegt wurde. Wärst Du in Halle, so würde es dorthin gehen. Aber die armen Teufel dort können ja nicht einmal das Porto bezahlen und Geld kann ich nicht zurücklassen. ||

Kesselkoppe (die schwarze Koppe) wird auch besucht; 7 Gründe wohl nicht.

Auf Pflanzen warten Viele, auch Mielitz, doch Alle erhalten.k

Wie es mit den Pflanzen, die Du erhalten sollst, werden soll, weiß ich noch nicht. Ich bin wahrscheinlich erst den 13ten August in Merseburg. Schreibst Du vorher, so schreib nach Halle (Jägerplatz 1074, beim Gärtner Bär)l wohin ich wahrscheinlich früher komme.

Dein W. ||

’s thut mir leid, daß Lüben die Moose immer noch nicht bestellt hat, nur kenne ich wenig genug, werde also viel Ur-Zeug mitbringen. Flechten nicht.m

a durch größere Schreibung hervorgehoben: Leichtsinn; b durch größere Schreibung hervorgehoben: die; c durch größere Schreibung hervorgehoben: wüthender; d eingef.: noch nicht angefangenes; e durch größere Schreibung hervorgehoben: Carex obtusa Liljeblad; f gestr.: kommt; eingef.: geht; g durch größere Schreibung hervorgehoben: Trifolium parviflorum Ehrh.; h dreimal unterstrichen; i gestr.: denk; j eingef.: im Allgemeinen; k folgt Adresse; l eingef.: (Jägerplatz … Bär); m Text auf dem linken Rand von S. 3, um 90° gedreht: ’s thut … Flechten nicht.

Brief Metadaten

ID
16625
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen Provinz Sachsen
Zielort
Zielland
Königreich Bayern
Datierung
26.06.1853
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,3 x 14,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16625
Zitiervorlage
Weiß, Ernst an Haeckel, Ernst; Merseburg, Eilenburg; 26.06.1853; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16625