Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 23. Mai – 5. Juni 1852

Lieber Häckel.

Diese wenigen Zeilen, bevor mein für Dich schon lange geführtes Tagebuch, das, nach meiner ersten Absicht, schon längst in Deinen Händen sein müßte, nach oder ina den Pfingstferien endlich mit den übrigen Ergebnissen (der Flora) an dich gelangt. Du thust mir wirklich recht herzlich leid, daß dein Beinleiden sich gerade wieder einstellen mußte – nun Gott gebe, u. er wird’s, daß es im Bade völlig geheilt werde. Allerdings habe ich in der letzten Zeit schon mehr Excursionen angestellt, als ich vorher geglaubt hatte, wenn auch nicht viele. Von diesen aber wirst Du ausführlich im, so zu sagen, Tagebuch erzählt finden. Nur so viel von der letzten: Ajuga pyramidalis ist allerdings specifisch von A. genevensis verschieden. Im Voraus muß ich dich aber bitten, nicht über der langweiligen Schreiberei im späten Briefeb ungeduldig zu werden, ich glaube freilich, daß es manchmalc so zu sagen ins Himmelblaue geht. Ich würde auch lieber noch einmal kürzer d von Anfang beginnen || wenn mich nicht die schöne Zeit dauerte, die ich darauf verwendet habe. Nun wirst du freilich dran zu thun haben, – drum – aber, ‘s ist schon gut. – Weber u. Hetzer befinden sich schlau u. lassen grüßen, werden auch nächstens schreiben. Vorigen Mittwoch zum Donnerstag habe ich bei ihnen geschlafen, zwar nicht besonders, denn das Sopha war ein bischen zu kurz, aber doch hinlänglich bis früh um 3 Uhr, zu welcher Zeit wir uns erhoben, um um 4 auszurücken, doch wohin? – ja das nächstens. Die Sonne sahen wir hinter dem …berge auf u. bald nachher wieder untergehen, nämlich im Nebel, der immer stärker wurde u. die Sonne erst gegen Abend wieder durchkommen ließ, war uns übrigens, da es nicht regnete, höchst, ja ur-angenehm war. – Weil ich indeß versprochen habe, nur ein paar Zeilen zu liefern, so lebe wohl, besser dich immer mehr – das macht mir Freude – und denk ein wenig an

Deinen treuen Freund

Weiß

NB. Am Bienitz bin ich nach nicht im Mai gewesen, ‘s wird daher wohl mit Carex obtusata nichts werden. ||

Nur das noch, daß uns die Tour etwas ermüdete; denn von Halle auf Umwegen (wir hatten uns verlaufen) nach dem Petersberge u. von da bis ziemlich nach Dölau ist kein kurzer Weg. Zuletzt sahen wir uns noch das Orchideen-Haus u. die baumartigen Farrenkräuter im Kefersteinschen Garten zu Kröllwitz an. Das ist wirklich eine Pracht!

3/6 52.

Hab’ schönen Dank für Deinen Brief, den ich gestern, von Schkeuditz zurückgekehrt, erhielt. Das war doch auch einmal etwas Ausführliches, wofür Du also schönstens bedankt sein sollst.

Ich will heute für’s Erste den botanischen Theil des Briefes beendigen. Da muß ich dann einmal etwas zurückgreifen, indem ich dir noch nichts von einer Partie mit Osterwald u. Buchbinder nach Naumburg geschrieben habe, die am 16/5 vor sich gegangen ist. Diesmal war Osterwald der am meisten Staunende. Für mich bot sich weniger Neues dar; überhaupt kostet es doch schon Anstrengung, mehr Neues zusammenzubringen, im Ganzen habe ich an mir wirklich Neuem dies Jahr höchstens 20 Arten gefunden u. ich glaube nicht, daß ich das 1000 dieses Jahr voll machen werde. Denn mit allen dem ist nichts: Keine Salices e(vielleicht phylicifolia, verblüht,), Keine Carex obstusata, Buxbaumii, humilis, dioecaf etc. etc., fast gar keine Gräser u. s. w. ||

Aber um auf die Naumburger Excursion zurückzukommen, so muß ich dir doch sagen, daß ich theils glücklich, theils unglücklich gewesen bin. Die alten Orchideen habe ich nun noch einmal mit einlegen können, also fusca, von der ich beiläufig 4 Exemplare verschenkt habe. Orchis pallens war wieder so gut, als verblüht u. das Exemplar, das ich dir schicke, war noch eins von den besten. Orchis sambucina scheint sehr abzunehmen, dagegen ustulata sich zu vermehren. Endlich muß ich dir noch sagen, worin mein Unglück besteht. Ich nahm am Petersberg, eigentlich nur Spaßes halber, ohne was zu denken, ein paar Halme eines Grases mit u. wie ich es zu Hause bestimme ist es Sesleria coerulea u. hatte doch dort in Unmasse gestanden! Sodann entdecken wir im Mordthal „auf Bergwiesen“, wohin wir uns verlaufen hatten, eine Iris, jedenfalls sambucina – und blühte nicht, hatte auch keine Knospen! Wenn ich nur Aussicht hätte, bald wieder einmal an die Stelle zu kommen! Das ist nun freilich bitter. – Übrigens fand sich Paris quadrifolia u. Oxalis Acetosella, die du wohl beide hast.

Nun die letzte Excursion, nach Schkeuditz. Also wie gesagt, mit Carex obtusta ist’s nichts; wie ich mir doch schon dachte; vielleicht war sie schon fortgeholt, vielleicht verblüht. Dagegen wieder einige andre Carices, die ich noch nicht fertig bestimmt habe. So war’s also am Bienitz || nicht viel. Auch nicht viel bei Leipzig. Hier gab es nur die Früchte einer Salix, von der ich nicht ganz gewiß bin, ob es phylicifolia ist, außerdem wareng auch die Früchte schon fast gänzlich ausgefallen. Wieder habe ich aber hier etwas gefunden, was ich nicht suchte, nämlich Carex Drejeri, das sich durch den schlanken Halm u. Wuchs, die meisth entfernteren Ährchen, die nicht so zusammengedrückten, mehr gewölbten Früchte auszeichnet.

Endlich habe ich nun Alchemilla vulgaris u. zwar sehr schön gefunden, worüber ich mich wirklich gefreut habe. Bei Dölzig ist mir diesmal Carex Davalliana in solcher Unmasse aufgestoßen, daß ich manchmal kaum etwas anderes sehen konnte. Wenn ich aber auch nur den 100sten, ja nur den 1000sten Theil Carex dioeca gefunden hätte!

So viel de botanicis. Jetzt noch ein wenig anderes. Nach Eilenburg konnte ich diesmal nicht reisen, wie ich beabsichtigte, mußte also auch manche projektirte Excursion fallen lassen, z.B. hoffte ich dort Phyteuma nigrum zu finden, deren Standort, erst voriges Jahr aufgefunden, mir mitgetheilt worden war. Ebenso weiß ich noch nicht, ob bei mir eine schlesische Reise zu Stande kommen wird; die Umstände scheinen sich, wenngleich nicht die Lust, geändert zu haben; doch hat dies noch Zeit u. im unglücklichsten Falle bleibe ich zu Hause –. Nun dies noch so als Einschiebsel, obgleich es von dem Obigen nicht viel verschieden ist.

Du schreibst mir in Deinem Briefe über Deine Collegia so, daß ich dich wohl beneiden möchte. Ich glaube wohl, daß die Vorlesungen Mitscherlich’s in’s Besondere, sowie Dove’s sehr interessant sein müssen. Daß Du Dein praktisches Talent durch Experimente (auch physikalische?) || vervollkommnest, ist sehr gut u. Du wirst gewiß bald zugestehen, daß man iwohl kann, wenn man will“.

Braune’s botanisches ABC wird freilich besonders für Dich etwas langweilig sein u. Du hast wohl Recht, daß für den, der schon in solchen Sachen zu weit ist, nachher, wenigstens der Anfang, nicht gefällt. Das hätte bei mir nun nicht so viel zu sagen, da ich von Vielem ein Bisschen aufgeschnappt habe, aber von Keinem etwas Genaues. (Werd’ ich wohl jenen „halbgebildeten Gelehrten“, deren Sinnbild die „Sandheide“ zu sein scheint, gleichen? – –)

j Da ich aber nun bald schließen muß, so will ich mich für das Übrige kurz fassen.

Den Müller-Pouillet halte ich jetzt allerdings für akademische Studien geeigneter, als z.B. Eisenlohr etc..

5/6 52.

Deine Aufträge habe ich besorgt. – Schließlich noch eine Nachricht, nämlich über d. geehrten Wieck. Denke Dir – wir haben schon die dritte latinische Arbeit auf! Überhaupt scheint er sich sehr geändert zu haben. Im Tacitus geht es übrigens sehr langsam, wirk haben erst 16 Kapitel seit Ostern gelesen.

l Wen du einmal die noch nicht reifenm Früchte von Equisetum bekommen kannst, so lege sie nur unter das Mikroskop: es giebt ein sehr hübsches Präparat, das freilich sein größtes Interesse verliert sowie die Samen trocken werden. Die Hauptsache erblickt man nur im Augenblick des Trocknens der grünen Samenkörnchen.

Nun indeß genug. Zuletzt folgen natürlich noch die besten Grüße von allen Bekannten, an dich u. deine Eltern; von Osterwald’s (Osterwald wird nächstens schreiben), von Hetzer, Eichhoff (Eichhoff ist gestern aus Thüringen gekommen), sowie von

Deinem alten Freund

Weiß

Alle wünschen wir Deine baldige vollständige Besserung.

a eingef.: oder in; b eingef.: im späten Briefe; c korr. aus: manchmals; d gestr.: vorn anfan; e gestr.: (; f eingef.: dioeca; g eingef.: waren; h eingef.: meist; i gestr.: die; j gestr.: Nun; k korr. aus: wirh; l gestr.: Nun aber genug; m eingef.: noch nicht reifen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.06.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16616
ID
16616