Luise Weiß an Ernst, Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 10. Juli 1866
Berlin den 10 Juli 66.
Meine theuren Freunde Alle Drei!
Denn ich weis nicht an Wen ich mich vorzugsweise wenden soll und meine Gedanken wandern von Einem zum Andern; auch weis ich dass Sie Alle Drei meiner in alter Liebe und Freundschaft gedenken.
Ich vermisse Sie zu sehr hier! Deshalb muss ich schreiben! Durch Ihre Schwester Gertrud habe ich wohl erfahren, dass es Ihnen Allen gut geht – aber das ist mir nicht genug; auch möchte ich Ihnen gern mittheilen, wie es mir in der Zeit ergangen ist, wo wir uns nicht sahen und die so unbeschreiblich wichtig und aufregend ist und Folgereich seyn wird. Gar zu gern sähe und spräche ich Sie Alle! aber das wird wohl noch eine Weile dauern? Sie sollten aber hier seyn, um diese Zeit hier zu verleben! – Ich selbst muss mich möglichst ruhig verhalten, da mir sowohl Anstrengung als Aufregung gar nicht gut thut und ich fühle gar sehr wie in solche Zeit nur junge Leute gehören und die Alten – abkommen können! ||
Nun will ich Ihnen von mir einiges erzählen. Sie wissen, dass ich am Dienstag d. 29. Mai nach Wittekind mit unsrer Elly abreisste, die mir ein treuer Beistand und die richtige Gesellschafterin war. 2 Tage später kam die Parthey auch hin und übernachtete den ersten Tag bei mir, da ich eine übrige Stube hatte; die später gar oft Gäste aufgenommen hat, aus Schkeuditz – Eilenburg – Stötteritz; was sehr angenehm war. Die Parthey a die noch dort ist – mir gestern schrieb, Ob Er und Veronika noch in Marienbad sind weis ich nicht und fürchte, sie sitzen irgendwo fest, bezog am nächsten Tage eine sehr schöne Wohnung – aber die meinige, so still abgelegen im Park und Garten war mir lieber; es war ein ganz reizender Aufenthalt, wie man ihn sich nur wünschen kann, und für mich doppelt angenehm durch die Nähe von Schkeuditz namentlich; Karl und Mathilde waren wechselnd wiederholt bei mir, auch Marie Weiss – Lieschen, die Stötteritzer und Besuch aus Merseburg und Halle fehlte auch nicht; ich selbst unternahm nichts weiter, als eine kurze Tour nach Merseburg um Elly meine Vaterstadt zu zeigen; in Halle war ich gar nicht, blos Elly einigemal zu Fuss dort. Das Bad war natürlich nur sehr schwach besucht; da genug Gerüchte täglich im Umlauf waren, so war ich recht froh, täglich meine neueste Spener’sche Zeitung zu erhalten und immer das wichtige zu erfahren. ||
So blieb ich ruhig dort, fast 5 Wochen und kehrte am Sonnabend vor 8 T. d. 30. Juni wieder hierher zurück, im Ganzen sehr befriedigt.
Hier bin ich nun kaum aus dem Hause gekommen, da Sie nicht hier sind – Parthey’s auch nicht – und Braun’s zu denen ich wollte – kamen Beide zu mir, so wie Einige Andere auch. Er Braun, ist nach seiner Art und nach dem langen Krankseyn ziemlich gut aussehend und heiter, aber Sie ist schwach, hat viel zu klagen vor Allen über Kraftlosigkeit – ist recht krank gewesen und ich mache mir viel Sorge um sie.
Bei Beyrichs geht’s jetzt gut, Clementine pp. ist sehr thätig – und ich auch in ihrem Gefolge – als Mitglied des Damen-Preussen-Vereins; wie denn dies nächst der Hauptsache sehr erfreulich ist; da wird doch was und wirklich viel gethan! Uebrigens will ich alle meine politisch patriotische Weisheit hier in diesen Zeilen nicht auskramen denn dann fände ich kein Ende; und was Ereignisse sind, da verweise ich Sie auf gute Preussiche Zeitungen wie wirklich meine Spenersche ist, d. h. nach meiner Ansicht. Denn dass ganz liebe und gescheute Leute ihre andren Ansichten haben können, habe ich an m. Neffen dem Prof. Herrm. Weisse gesehen, der nicht blos als Sachse jetzt in andrer Stimmung ist – sondern auch von Oestreich Deutschlands Heil erwartet hat und keineswegs von Preussen! ||
Neulich ist der Preussische Commandant in Leipzig, General XX nach Schkeuditz zu Karl W. gekommen um ihn zu ersuchen: einen Gottesdienst für das Preuß. Militär in Leipzig abzuhalten (d. h. so eine Battry wie wir am … hatten) und da hat Karl Sonntag drauf das gethan; in der Pleissenburg im Hof ist das ganze Militär versammelt gewesen und Karl hat eine so passende Predigt gehalten, dass der Commandirende General sowohl als einige andre Officire Karl nach Schkeuditz zurück begleitet haben – da noch ein Glas Wein getrunken und Mathilde verführt haben: dass ihr Mann ihr Divisions Prediger werden müsse!! –
Ob Karl und Mathilde Ende d. Monats noch hierher kommen werden und ihren Plan, ins Seebad zu gehen Mathildes wegen ‒ ist noch ungewiss; Können sie es ausführen – so begleite ich sie; mit diesem mir so lieben Menschen zu seyn einige Zeit, dies lokt mich; sonst aber bliebe ich ganz gern hier. Beyrichs gehen wieder in den Harz gegen Ende August aber erst. – Ehrenbergs sind schon längst fort, höre ich, in Neuenahr.
H. v. Martens habe ich noch nicht gesehen.
Von Jettchen Barth erhielt ich einen sehr aufgeregten Brief und es kann seyn dass sie bald hier durch kommt und bei mir übernachtet. Natürlich sorgt sie sich um Schubert’s! ihre Schwester war sehr krank und wo mag Er Schubert jetzt seyn? – Von Pinders habe ich neue Briefe die gut und ruhig lauten, aber grosse Angst haben sie lange ausgestanden, so an der Grenze! ihr Reinhold ist noch nicht ganz hergestellt, und traurig dass er nicht bei seinem sich sehr ausgezeichnet habenden Ulanen Regiment hat seyn können.
Nun habe ich genug geplaudert! möchte ich doch b ein Blättchen Erwiderung erhalten! Ihre getreue
L. Weiß.
c Luise Lachmann und ihre Kinder sind ganz wohl!
a am Rand v. S. 2 eingef.: die noch dort ist – mir gestern schrieb, Ob Er und Veronika noch in Marienbad sind weis ich nicht und fürchte, sie sitzen irgendwo fest,; b weiter am Rand v. S. 1; c weiter am Rand v. S. 1;