Luise Weiß an Ernst Haeckel, Berlin, 14. November 1864
Berlin den 14. Nov. 64.
Mein guter herzlich geliebter Ernst!
Den Dank für Ihren lieben Brief, wollte ich Ihnen erst bringen bei unserm Wiedersehen! aber da ich täglich so oft und viel an Sie denke und Ihr trauriges Alleinseyn meine Gedanken beschäftigt, so ist’s mir nicht mehr möglich, mich ganz schweigend gegen Sie zu verhalten. Nehmen Sie dies Blatt also nur als Zeichen meines ununterbrochnen Mitgefühls auf, das sich nicht blos auf ein altes bewährtes Freundschaftsverhältniss gründet, sondern auch auf eine besondere Aehnlichkeit und Sympathie in Ihren und meinen Gesinnungen und in der Auffassung und Festhaltung der unvergänglichen Liebe zwischen Eheleuten. Deshalb macht der gewaltige Unterschied zwischen einer alten Frau, die fast 41 Jahr eine glückliche Gattin war, und einem so jungen Mann, wie Sie, der so sehr kurze Zeit dies ähnliche Glück genoß – keinen solchen Unterschied wie man denken sollte; denn ich kann mich ganz in Ihre Seele versetzen, ich finde Alles natürlich und richtig, was Sie empfinden – genug – ich harmonire mit Ihren Gefühlen. ||
Aber eben dies ist der Grund, daß ich auch hoffe, Sie werden ähnliche Erfahrung an Ihrer unvergänglichen Liebe zu Ihrer verklärten Anna machen, als ich gemacht und es in den ersten Jahren kaum glaubte; nemlich, diese innre Festwerden ‒ unerschütterlich werden der äuserlich begrabnen Liebe; und dennoch Theilnahme gewinnen an Personen und Dingen und Verhältnissen, ohne dadurch jenen unvergänglichen Gewinn und Besitz zu beeinträchtigen und zu schwächen oder verringern. Es scheint sich dies zu wiedersprechen, und ist auch nur die Folge der Zeit. Freilich ist’s auch für mich eine ganz andere Aufgabe als für Sie, der Sie ein ganzes langes Leben wahrscheinlich noch vor sich haben; und es ist leicht möglich, daß ich nicht erlebe, Sie auf dem Punkte angekommen zu sehen, den ich für Sie wünsche und hoffe: wirkliche innre Ruhe in der Erinnerung des vergangnen Glückes! Diese wünsche ich Ihnen – und weiter gehen meine Gedanken nicht; ich will in keine Zukunft blicken und stelle ganz aus vollem Herzen Ihr Schicksal Gott anheim! Ihre gesunde edle Natur wird alle Kämpfe die sie zu bestehen haben werden – es wird daran nicht fehlen – glücklich überwinden; der Himmel segne Sie künftig. ||
Auf Ihren Besuch zu Weihnachten freue ich mich wieder sehr! es ist mir das Zusammenseyn mit nur wenig Personen eigentlich ein wahrer Genuß; und so wohl, so frei wie im Verkehr mit Ihnen fühle ich mich mit Niemand weiter, wenn ich auch aufrichtige Freundschaft empfinde zu Einigen; aber wenn man so alt wird wie ich nun bin, so verengt sich der Kreis in dem man lebt und leben kann; doch bin ich dankbar für das Gute was mir geblieben, und bin bemüht dies zu hegen und zu pflegen. – Dass Ihr elterliches Haus für mich einen hohen Werth hat, wissen Sie; und wenn ich Ihren Vater überleben sollte – dies würde ich schwer empfinden; aber jetzt hat es Gottlob nicht den Anschein, sondern es geht ihm im Ganzen besser; in den letzten Tagen war ich nicht drüben, aber es geschieht sicher in den nächsten. Ihre Mutter schreibt Ihnen sicherlich ausführlich und so will ich nicht weiter erzählen, von Beyrich und dergl.
Sehr habe ich Sie in den letzten Wochen her gewünscht, um die Hildebrand’schen Aquarelle zu sehen! zu leid thut’s mir, dass Sie sie nicht gesehen und es ist mir um Ihretwillen lieb, dass sie der König (für 10000 rh) angekauft hat und sie dem Kupferstich Cabinet einverleibt werden sollen; da wollen wir einmal zusammen hingehen; denn sehr gern sähe ich sie öfter, obgleich ich 3 mal dort war; aber sie sind zu schön, belehrend und interessant und ich bin jetzt voll Bewunderung von Hildebrands Maler Talent. ||
Haben Sie in einer Zeitung davon gelesen? Zwei oder drei Jahre ist Hildebrand auf der Reise gewesen; über Egypten – Bilder von Alexandrien Kairo, Suez. Indien: Bombay – Calcutta – Benares, Ceylon – Singapour – China: Peking, Schanghai, Canton – Macao- TientSin, dann Japan sehr viele Manilla u. s. w. auch S. Franzisko – Panama. Zweihundert und einige und fünfzig sind’s.
Doch – was nützt das Aufzählen! sehen!
Sonst wüsste ich Ihnen nichts nennenswerthes mitzutheilen; bei dem Wetter gehe ich wenig aus. Meinen Freund Barth habe ich lange – fast 14 Tage – nicht gesehen; hoffe, dass er recht bald einmal kommt; neulich aber war er so freundlich mir ein Kästchen mit herrlichen Weintrauben zu schicken, die ihm H. Duveriera aus Frankreich mitgebracht hatte, der einige Tage bei ihm logirte; übrigens trug er mir viel herzliche Grüße an Sie auf, im Fall ich an Sie schriebe.
Kürzlich war Karl Weiss aus Schkeuditz ein paar Tage hier, verabredetes Zusammentreffen von Studien Genossen – seit 20 Jahren! – so vergeht die Zeit! mir war’s kaum glaublich! – Bei Beyrichs geht es gut – bei Brauns ist Anna wieder sehr elend; Agnes war gestern bei mir. Ehrenbergs Gedult wird geprüft, doch gehts im Ganzen gut. Dass Martens in England ist, wissen Sie wohl?
Jetzt aber wird’s Zeit meine sehr schlechte Schreiberei zu schließen und Ihnen ein herzlich Lebewohl zu sagen, bis auf Wiedersehen! – Nimmt Ihr Freund Gegenbaur meinen theilnehmenden Gruß wohl an? – auch Frau Hildebrand erinnert sich wohl meiner. Adieu mein guter Ernst und bleiben Sie gut Ihrer alten Freundin
Luise Weiß.
b Eine Bitte noch, mein lieber Ernst! Arbeiten Sie nicht so lange in die Nacht hinein! bitte. thun Sie nicht! Daß Ihr Buch, Ihre Arbeit Sie erfüllt – freut mich; aber nicht bis über Mitternacht arbeiten.
a korr. aus.: Dugerier; b weiter am Rand v. S. 1