Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 7. Juni 1866

Bonn 7 Juni 66.

Mein lieber Freund!

Da ich an Bruder Bernhard schreibe benutze ich die Gelegenheit Dir für Deinen Brief und die Sendung, von welcher außer mir La Valette und Greef Theil genommen haben, herzlich zu danken. Das Material an fossilen Medusen mehrt sich ja ganz unerwartet nachdem Du Bahn gebrochen, und wer weiß was da noch verborgen liegt. Beia Versteinerungen fällt mir ein kennst Du einen Aufsatz Burmeister’s über fossile Echinodermen in dem ersten Theil seiner geologischen Bilder? Es sind jetzt wenigstens 10 Jahre her, daß ich ihn gelesen habe und ich besitze das Buch nicht, aber er steht mir lebhaft vor der Seele als eine vortreffliche Darstellung der inneren Verwandtschaft der ausgestorbenen ältesten || Echinodermenfauna mit der lebenden. Ich erinnere mich aus demselben zuerst ein Interesse an den sonderbaren Formen des Marsupites und der kugligen Crinoiden geschöpft zu haben. Seine Betrachtungsweise weicht nicht weit von den Principien des Darwinismus ab.

Jetzt stehen wir nun also wirklich vor der Entscheidung durch Waffengewalt, ob Preußen oder Oesterreich künftig das erste Wort in Deutschland hat. Da es im Frieden nicht besser werden konnte ist mir diese Wendung recht, und ich hoffe viel für die Zukunft. Bismark ist dabei gleichgültig, da Jeder einsieht daß seine Zeit kommen wird wie die jedes Menschen. Aber wie wir bei einem || Misslingen auf ihn die Schuld schieben werden, so werden wir bei einem Siege und daraus hervorgehender günstigerer Gestaltung der deutschen Verhältnisse ihm Dank votiren für die Gelegenheit zum Kriege. Wir stehen am Vorabende großer Ereignisse, und da schweigt jede kleinliche Untersuchung. Gott verhüte nur den Triumph oesterreichischer Waffen.

Daß unter herrschenden Zustanden die rechte Ruhe zum Arbeiten fehlt empfindest Du wie ich, und das dabei der Sinn sich immer wieder in Sehnsucht zurückwendet zur Erinnerung an das verlorene Theuerste ist natürlich. Ich empfinde keine Milderung des Schmerzes durch die Zeit, denn ein Ersatz ist in keiner Weise möglich. Du hast, das erkenne ich an, einen || Trost, eine Möglichkeit des zeitweiligen Genusses weniger wie ich – die Kinder, die mir zwar manche Sorge machen und mich lebhafter als alles Andere an die Entschlafene zurückerinnern, undb so den Schmerz stets neu wachrufen, aber doch in lieblicher Weise beschäftigen, wenn ich Erholung suche und mir meinen Hausstand auch in dieser zerstückelten Form lieb machen.

So viel ich kann arbeite ich über Retina, ein Capitel welches mir freilich wie Dir Dein Darwinbuch unter den Händen immer mehr anwächst, so daß ich noch kein Ende sehe. Hast Du meine Betrachtungen über den gelben Fleck gelesen, und wie scheint Dir die Sache?

Nun aber zum Schluß. Das preusische Staatsbewustsein hat mich sehr amüsirt, die Wahrheiten sind durchschlagend und treffen „wie Spitzkugeln den Elephanten“. Grüße Gegenbaur, um dessen Umgang ich Dich beneide.

Dein Max Schultze

a korr. aus: Für; b korr. aus: über

Brief Metadaten

ID
16513
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
07.06.1866
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16513
Zitiervorlage
Schultze, Max an Haeckel, Ernst; Bonn; 07.06.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16513