Schultze, Max

Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 14. Januar 1862

Bonn 14 Januar 1862.

Lieber Freund!

Ihr Brief hat mir eine große Freude gemacht theils durch die guten Nachrichten über Sie und Frl Braut theils durch die Mittheilungen über den Fortschritt und die Art der Ausführung Ihres Radiolarien Werkes. Nach dem was Sie schreiben dürften wir nun also bald auf das Erscheinen des nach physiologisch-systematisch-typographisch und artistischer Beziehung gleich ausgezeichneten Quartanten hoffen.

Daß Sie sämmtliche Ehrenberg’schen Diagnosen einer Revision unterwerfen mußten habe ich von Anfang an für nothwendig gehalten und Ihnen dazu das Studium der fossilen Formen empfohlen. Ihr Werk muß eine Grundlage sein für Jeden, der sich künftig auf diesem Gebiete beschäftigen will. || Aber ich glaube Ihnen, daß es eine Höllenarbeit gewesen den Augiasstall auszumisten. Für so schlimm wie Sie schreiben hätte ich Ehrenberg gar nicht gehalten – und sehr viel Gutes hab’ ich ihm weiß Gott doch auch nie zugetraut.

Natürlich hat es mich auch sehr gefreut, daß Sie meinen Ansichten über Sarcode beigetreten sind. Ich hoffe daß der unbehagliche Zustand in Betreff der Organisation, der Grundanschauungena über die Histiologie der Protozoen herrschte, und an dem Johannes Müller sich vergeblich zerarbeitete, durch eine vorsichtige Überarbeitung meiner Andeutungen getilgt werden wird, und dazu darf ich noch Ihren Andeutungen glauben, wird Ihr Werk wesentlich beitragen. Es ist kein Kleines umb die || Frage, wie die Zellentheorie auf die Protozoen ihre Anwendung findet.

Ich habe vor einigen Wochen eine kleine Arbeit über Polytrema gemacht, die mich wieder rasch auf das Gebiet führte. Polytrema sollte eine Millipore sein ist aber eine Acervuline unter den Polythalamien. Was mich zu einer eingehenderen Beschäftigung veranlaßte ist der Umstand, daß in der Kammer sehr gewöhnlich Spongiennadeln vorkommen, und daß Carpenter und Gray zwei sehr verwandte Arten als Carpenteria und Dujardinia beschreiben, bei denen dies Zusammenvorkommen von Polythalamienkammern u. Spongiennadeln zur Aufstellung einer Uebergangsform zwischen Foraminiferen u. Spongien veranlaßten. Bei Polytrema ist nun || an solchen Uebergang nicht zu denken, das Ding ist eine richtige Polythalamie und die Spongiennadeln gehören aller Wahrscheinlichkeit nach einer eingewanderten Clione an. Ebenso ist es voraussichtlich und nach den Abbildungen mit Carpenteria u. Dujardinia so daß diese unbehagliche Uebergangsform gestrichen wäre. Aus Ihrem Werke hoffe ich für Beantwortung der Frage nach etwaigem Uebergang beider Material entnehmen zu können, ich gestehe offen, daß ich an einen Uebergang der Art nicht glaube, ja ich muß mich zu der ketzerischen Ansicht bekennen, daß ich die Spongien gerne wieder aus dem Thierreiche hinauswürfe, in welches sie Lieberkühn mit wie mir scheint wenig Grund hineingebracht hat. Doch das läßt sich nicht so kurz abmachen. Meine Zeit geht zu Ende. Viele Grüße an Ihre verehrte Frl Braut. Schreiben Sie bald wieder. La Valette grüßt, wir haben gewaltig auf der Anatomie zu thun, denken Sie 82 Präparanten, u. dazu lese ich diesenc Winter außer der menschlichen auch zum ersten Mal in Bonn vergleichende Anatomie. Mit meiner Gesundheit, die im vorigen Jahr nicht war wie sie sein sollte geht es jetzt sehr gut nach 2 1/3 monatlichem Faulenzen in derd Schweiz.e Frau und Kinder wie mein Schwiegervaterf befinden sich gottlob gesund, die Jungens machen mir schon unendliche Freude.g

Ihr

Max Schultzeh

a korr. aus: Grundverhältnisse; b eingef. mit Einfügungszeichen: um; c Text weiter am linken Rand von S. 4: Schreiben … diesen; d Text weiter am linken Seitenrand von S. 3: Winter … der; e Text weiter am rechten Seitenrand von S. 2: Schweiz.; f korr. aus: gesund; g Text weiter am linken Seitenrand von S. 2: Frau … Freude; h Text weiter am unterem Rand von S. 2: Ihr Max Schultze.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.01.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16497
ID
16497