Franz Weidenreich an Ernst Haeckel, Straßburg, 15. Februar 1909

PROFESSOR DR WEIDENREICH

STRASSBURG I. E.

15. Februar 1909.

Excellenz,

ich nehme mir die Freiheit, unter der Unmenge von Gratulanten, die morgen bei Ihnen erscheinen werden oder Ihrer gedenken, gleichfalls mich einzufinden, obwohl ich Ihnen bisher wohl nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden bin. Ich möchte Ihnen, der mich schon als Gymnasiast für die Naturwissenschaft begeistert hat, a deren Pflege und Förderung ich heute als Anatom dienen darf, mit meinem Dank auch eine – so hoffe ich wenigstens – kleine Freude || bereiten. Die heuchlerische Umfrage, die Ende Januar der Keplerbund an die Anatomen und Zoologen gerichtet, ist auch an mich gelangt. Ich habe darauf geantwortet mit dem Erfolge, daß der Keplerbund ein erneutes Rundschreiben mit einer Rechtfertigung losließ unter Bezugnahme auf meine Antwort (ohne Namensnennung). Da ich glaube, daß dieses Schreiben, das z. T. auch den Rückzug des Bundes in der Erklärungsfrage mitveranlaßte, Ihnen einiges Vergnügen bereiten dürfte, erlaube ich mir Ihnen eine Abschrift davon zu übersenden mit der Bitte es so gut beurteilen zu wollen, wie es gemeint war.

Sie wollen mit dem morgigen Tage fürderhin dem Kampfe ent||sagen; die Jugend, zu der auch ich noch gehöre, wird den Kampf gegen alle Dunkelmänner in Ihrem Sinne fortsetzen.

Mit der Versicherung ehrfurchtsvoller Ergebenheit

Ihr

Franz Weidenreich.

[Beilage: Abschrift des Briefes von Franz Weidenreich an die Direktion des Keplerbundes]

Strassburg, den 27. Januar 1909.

An die Direktion des „Keplerbundes“, GODESBERG.

Sie übersandtenb mir heute ein Flugblatt und einen Fragebogen mit der Bitte, mich über einige von Ihnen gestellte Fragen zu äussern, weil „in weite Kreise unseres Volkes eine grosse Beunruhigung über die Vertrauenswürdigkeit der deutschen Wissenschaft getragen sei.“

Ich muss es ablehnen, meine Ansichten vor einerc Vereinigung zu entwickeln, die zum grössten Teil aus Persönlichkeitend besteht, die in der e Beurteilung naturwissenschaftlicher Fragen und Methoden keine Kompetenz besitzen und bei denen ich Grund zu der Annahme habe, dass „die Förderungf der Naturwissenschaften“, der sie dienen wollen, nur in einem ganz bestimmten Sinne, jedenfalls aber nicht „voraussetzungslos“ gemeint ist. „Beunruhigt“ sind meiner Beobachtung nach nur die „Kreise unseres Volkes“, die schon ohnedies durch die gesicherten Resultate der modernen Naturwissenschaft „beunruhigt“ sind und zu deren Wortführern der Keplerbund gehört.

Eine Beantwortung der Umfrage lehne ich weiterhin aus dem Grunde ab, weil es dem Keplerbund gar nicht darauf anzukommen scheint, die „Vertrauenswürdigkeit der deutschen Wissenschaft“ zu heben, sondern weil er lediglich HAECKEL verfolgt, einen Mann, der in seinen tatsächlichen Leistungen von keinem der im Keplerbund vereinigteng konsistorialrätlichen Naturforschern irgendwie erreicht wird, und weil er meiner Beurteilung nach mit HAECKEL nur die ihm sichtlich sehr unbequeme, aber trotz Kritiker wie BRASS gesicherte Descendenztheorie treffen und in den Augen einer verständnislosen Menge in Misskredit bringen möchte.||

Zum Schlusse erlaube ich mir noch die Bitte, für die Zukunft von Zusendungen an meine Adresse absehen zu wollen.

Hochachtungsvoll

gez. Franz Weidenreich.

a gestr.: aus; b irrtüml.: überdandten; c korr aus: einiger; d korr. aus: Persönlichkieten; e gestr.: Frage; f korr. aus: Förederung; g korr aus: vereingigten

Brief Metadaten

ID
16355
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsland aktuell
Frankreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
15.02.1909
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
1
Format
14,3 x 19,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16355
Beilagen
Weidenreich an Direktion des Keplerbundes
Zitiervorlage
Weidenreich, Franz an Haeckel, Ernst; Strassburg (Strasbourg); 15.02.1909; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16355