Johannes Walther an Ernst Haeckel, Weida, 22. Januar 1886

Weida den 22 Januar

1886

Hochverehrter Herr Professor!

Ich habe gestern eine Nachricht erhalten, die sorgende Vermuthungen bestätigt und mich nicht grade zu erfreuen geeignet ist. Ein Freund schreibt mir, daß sich S. abfällig über meine Arbeit geäußert habe, daß er außerdem mehreremale deutlich habe merken lassen daß er mir nicht gewogen sei und sich auf meinen Eintritt in Jena nicht besonders freue. ||

Diese Mittheilung hat mich in gewissem Sinne nicht überrascht, weil ich aus seinem Benehmen schon Ähnliches vermuthet habe; und als ich kürzlich auf den besonderen Wunsch des Herrn v. Richthofen im Verein für Erdkunde einen Vortrag über die Wissenschaftliche Erforschung des Golfes von Neapel halten mußte und dessen Gast war, so sprach ich mich Herrn v. Richthofen gegenüber offen aus, daß ich wegen S. einige Sorge trüge.

Ich habe im mündlichen wie im schriftlichen Verkehr alles vermieden was S. irgend von meiner Stimmung Rechnung gäbe und doch erfahre ich nun wieder von wohlmeinendem Freunde, daß meine Sorge gerechtfertigt sei.

Bei den schwierigen Umständen unter denen ich mich habilitire ist mir Solches besonders schmerzlich zu hören. ||

Was meine Arbeit anlangt, so habe ich keine Sorge; ich habe reiflich überdacht, was ich geschrieben habe und will ohne Zagen sie frei und öffentlich vertheidigen, außerdem schrieb mir Zittel, der doch sonst vorsichtig ist, trotz mancher Bedenken, rathe er mir doch nicht irgend welche Veränderungen meines Manuscripts vorzunehmen; ich hätte meinem Stoff Seiten abzugewinnen vermocht, die geeignet sind hergebrachte Anschauungen zu erschüttern, doch solle ich ruhig drucken lassen. Doch auch ohne dieses Urtheil meines Lehrers hätte ich wegen der Arbeit keine Sorge, die kann ich vertheidigen und vertreten.

Doch das andere ist das Colloquium. Hier wird doch S. die entscheidende Persönlichkeit sein, und wenn er mir nicht geneigt ist, wenn ihm meine Habilitation unbequem erscheint, so wird es ihm leicht fallen mir eine Niederlage zu bereiten. Und || wenn der Fachmann dann sagt, er ist nicht genügend vorbereitet für die Lehrthätigkeit, so muß die Fakultät nach Recht und Gewissen gegen mich stimmen. Ja ein paar wenige Stimmen können mir verderblich werden, selbst wenn die Majorität für mich gestimmt sein sollte. Meina Vertrauen auf eine günstige Stimmung ist etwas erschüttert, denn ich sage mir, daß sogar Ihr Einfluß und der meiner Lehrer durch ein ungünstiges Urtheil S’s eingeschränkt werden kann, er hat mein Schicksal in der Hand. Sie begreifen, daß mir eine abschlägige Antwort der Facultät ganz andere tiefere Wunden schlägt, als einem Anderen; lehnt man jetzt meine Habilitation ab, so würde ich, das habe ich mit meinem Vater schon besprochen, die Dozentencarriere || aufgeben müssen und müßte versuchen als Privatgelehrter mir einen Namen, als Schriftsteller und durch Vorträge mir einen Unterhalt wenn nicht ganz so doch theilweise zu verdienen. Es wäre mir sehr schmerzlich einem Wunsche zu entsagen, der zwölf Jahre lang mich beib mancherlei Unglück immer wieder aufgerichtet und gestählt hat weiterzukämpfen.

Aber ich wäre auch darauf gefaßt und würde das Unvermeidliche tragen. Allein die Blamage möchte ich mir gern ersparen und deßhalb wende ich mich heute wieder vertrauensvoll an Sie. Von Ihnen habe ich die Grundzüge meiner wissenschaftlichen Gedanken erhalten, Sie haben immer väterlich für mich gesorgt und mir geholfen. ||

Und Ihnen lege ich auch diesmal meine Sorge vor, Sie bitte ich um Rath. Sie überschauen die Verhältnisse und können mir rathen, wie ich handeln soll.

Glauben, oder fürchten Sie, daß eine abweisende Antwort der Fakultät möglich sei, daß eine solche später die Bestätigung von Seiten des Ministerium beeinflußen könne, so theilen Sie bitte mir das offen mit. Dann giebt es für mich zwar Auswege, entweder durch irgendeine Reise (nach Neapel, wo ich seit November von Dohrn gemahnt werde hinunter zu kommen) Entschuldigung die schwebenden Verhandlungen hinauszuziehn bis zum nächsten Semester (wo ja möglicherweise eine Veränderung der Persönlichkeiten stattgefunden haben könnte); c oder der Facultät offen mitzutheilen, daß ich || vorläufig bitten möchte, meine Meldung zur Habilitation als nicht geschehen zu betrachten.

In beiden Fällen bliebe mir die für mich tief einschneidende Blamage einer Abweisung erspart und ich könnte je nach Umständen mich später zur Habilitation melden.

Bitte prüfen Sie unbefangen die Frage, theilen Sie mir ganz offen Ihre Ansicht mit. Ich bin auf das Ungünstige auch gefaßt und möchte nur einige Klarheit haben.

Mein Vater läßt Sie herzlich grüßen. Bewahren Sie Ihre Zuneigung auch ferner Ihrem

treu und dankbar ergebenen

Schüler

Johannes Walther

a korr. aus: Meine; b gestr.: durch, eingef.: bei; c gestr.: zu

Brief Metadaten

ID
15841
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
22.01.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
12,6 x 20,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15841
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; Weida; 22.01.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15841