Johannes Walther an Ernst Haeckel, Weida, 31. Dezember 1885

Weida den 31. Dez.

1885

Hochverehrer Herr Professor!

Beim Schluß des Jahres drängt es mich Ihnen meinen verehrten lieben Lehrer die herzlichsten Glückwünsche und den innigsten Dank abzustatten für alle Beweise Ihres Wohlwollens die ich im vergangenen Jahr empfangen habe. Ich bitte Sie herzlich mir auch fernerhin Ihre Zuneigung und Ihr Vertrauen zu erhalten denn ich gehe einer entscheidungsvollen Zeit entgegen wo ich Hülfe bedarf. ||

Meine Arbeit ist fertig und liegt gegenwärtig Zittel zur Durchsicht vor. Dann werde ich sie rasch noch einmal überarbeiten und womöglich bis zum 10 Januar einreichen.

Ich habe mir viele Mühe damit gegeben zumal in den letzten Wochen wo sie mir Tag und Nacht nicht aus dem Kopf ging. Die wichtigsten Probleme der Crinoidenmorphologie wie die Entstehung der Arme, der dicyclischen Basis etc. kamen zur Durcharbeitung und als ich fertig war mit der Niederschrift meiner Gedanken da bin ich fast erschrocken über die ketzerischen Anschauungen denen ich Ausdruck gegeben habe. Ich fing noch einmal von vorn an, prüfte nochmals Punkt für Punkt, suchte alle möglichen Einwände zusammen – aber vergeblich, denn || scheinbare Ausnahmen wurden zu werthvollen Beweisen und ich kam zu denselben Schlüßen. Von ganz verschiedenen Ausgangspunkten, auf ganz verschiedenen Wegen gewann ich die nämliche Anschauung, daß die Arme der Crinoiden eine untergeordnete Dignität besitzen, daß die Pinnula das wesentliche, physiologisch wie morphologisch wichtigste Organ repräsentiren.

Ich hoffe daß Sie sich aus meiner Arbeit selbst überzeugen wie ich mit mir selbst gerungen habe und mich selbst zu bekämpfen suchte; aber mit einer gewissen Bangigkeit lege ich die Arbeit vor, weil ich nicht beurtheilen kann ob ich die rechte Form gefunden habe und ob es mir möglich war das was ich als klar erkannt habe auch dem Leser klar zu machen.

Die andere Schwierigkeit in der Arbeit war darin gelegen, daß ich ein zufällig zusammen || gekauftes und gefundenes Material einheitlich darstellen wollte. Daß ich die inneren Zusammenhänge für ein loses Nebeneinander von Beobachtungen zu finden hatte. Das ist mir vielleicht gelungen und ist misgeglückt.

Doch was schreibe ich über die Mühe die mir die Arbeit gemacht hat – verzeihen Sie die überflüssigen Worte. Bald wird die Arbeit in Ihren Händen sein dann werden Sie selbst lesen und urtheilen. Mein Vater läßt sich Ihnen grüßend empfehlen.

Bitte übermitteln Sie Ihrer sehr geschätzten Frau Gemahlin meine besten Empfehlungen und bewahren Sie Ihr Interesse und Ihre Zuneigung

Ihrem

treuergebenen

dankbaren Schüler

Johannes Walther

Brief Metadaten

ID
15840
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
31.12.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,5 x 20,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15840
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; Weida; 31.12.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15840