Johannes Walther an Ernst Haeckel, München, 26. Februar 1885

München den 26 Febr. 1885

Hochverehrter Herr Professor!

Ich bin durch Ihren so freundlichen Brief im hohen Maße überrascht und erfreut, inzwischen wird auch der meine in Ihren Händen sein und Ihnen über meine Stimmung ein Bild geben, das durch Ihren Brief völlig verändert worden ist.

Ich beeile mich, Ihnen sofort die gewünschte Nachricht zu senden und so weit ich in der Lage bin, Ihnen ein oberflächliches Urtheil über die betreffenden Herren zu geben.

Gestern sprach ich ausführlich über die Candidaten mit Zittel und bin über Steinmann und Branco von diesem orientirt. Steinmann ist wisenschaftlich sehr tüchtig, aber ein Proletarier, vermag kolossale Arbeitspensen zu leisten, aber für allgemeinere Fragen hat er kein Interesse und keine Begabung. ||

Branco (sehr schöne bedeutende Arbeit über Cephalopodenontogenie worauf das gegenwärtige System fußt) soll eine sehr angenehme liebenswürdige Persönlichkeit sein, Zittel sprach sehr warm von ihm.

Tietze ist der Schwiegersohn v. Hauer’s. Daher rasch in Amt und Würden, vermag brillante Aufsätze über unbedeutende Beobachtungen zu schreiben, Mojsisovics hält nicht viel von seiner wissenschaftlichen Befähigung.

Uhlig ist mir als tüchtiger Forscher bekannt, sonst kann ich nicht viel von ihm sagen

Doretz desgl.

Böhm Berlin (Jude) ist ein ganz einseitiger Molluskenmann, der sich seit einigen Semestern in Berlin „Habilitations halber“ aufhält, aber wegen gänzlichen Mangel geologischer Bildung Schwierigkeiten findet. Persönlich sehr flott u. guter Tänzer, Offizier – sonst kann ich nicht viel Rühmendes von ihm sagen.

Rothpletz kenne ich genau. er ist sehr kenntnißreich, aber etwas Krakehler, so daß er, wie Zittel gestern noch sagte, auf jede Publikation Skandal || bekommt und dadurch nirgends gut angeschrieben ist. Als Geolog und Paläontologe kann ich nur Rühmliches von ihm sagen. Ob seine Persönlichkeit, mit stark ausgeprägtem Selbstbewußtsein nach Jena paßt möchte ich nicht ganz entscheiden. Zittel würde ihn ungern aus dem paläontologischen Institut verlieren.

Von den Candidaten scheint nach allem Branco der empfehlenswetheste, den Zittel gestern noch sehr rühmte, dann Rothpletza. Über Uhlig könnte Ihnen Mojsisovics noch telegraphische Nachricht geben. Leider traf ich Zittel nicht mehr im Institut und kann wegen der Eile des Briefes Ihnen von ihm nichts directes mittheilen.

Entschuldigen Sie bitte die flüchtige Schrift, ich werde den Brief noch sofort zur Bahn bringen; was ich inzwischen erfahren sollte, theile ich Ihnen noch mit. Indem ich Ihnen nochmals herzlich danke für Ihren so ehrenden Brief bleibe ich Ihr

dankbarer Schüler

Johannes Walther

a eingef.: dann Rothpletz

Brief Metadaten

ID
15834
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
26.02.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15834
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; München; 26.02.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15834