Johannes Walther an Ernst Haeckel, München, 11. Februar 1885

München den 11. Febr.

1885

Hochverehrter Herr Professor!

Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zu Ihrem Geburtstag von Herzen gratulire. Ich kann Ihnen nichts anders wünschen, als daß Sie das reiche Glück, dessen Sie sich erfreuen, recht lange genießen dürfen in ungestörter reiner Freude. Leider kann ich Ihnen noch nicht melden, daß ich den Akademietisch erhalten habe, trotzdem mir ihn Prof. Roth als zweifellos genehmigt hinstellte, habe ich noch keine Nachricht und erwarte solche mit einiger Spannung. Ich habe inzwischen eine ganze Reihe einschlägiger Werke studirt und hoffe, daß, wenn ich erst in Neapel bin, auch die eigentliche Arbeit rasche und erfreuliche || Fortschritte mache. Heute erhielt ich die Nachricht von der Verlobung Dr. Lang’s. Hier bei Zittel habe ich mir vor kurzem Material zu einer paläontologischen Arbeit geben lassen und die prachtvolle Suite oberjurassischen Kehlheimer und Sohlenhofener Crinoiden bekommen. Die Stücke sind von wunderbarer Erhaltung, so daß man reizende Einzelheiten beobachten kann. Bisher habe ich die ungestielten Commatula und Solanocrinus bearbeitet und werde mit der weiteren Untersuchung derselben bis zum Schluß des Semesters zu thun haben. Schon habe ich eine axillare mediane Pinnula, die bei Antedon ontogenetisch angelegt, später aber abgeworfen wird, fossil durch Anschleifen einer schönen Krone nachgewiesen, eine Reihe prinzipiell richtiger morphologischer Verhältniße im Bau von Solanocrinus beschäftigen mich gegenwärtig und regen eine Reihe schöner Gedanken an. Verschiedene Fragen (über die Ursache der Armgabelung, Verschmelzung der Stielglieder zum Centrodorsale) werde ich in Neapel an Antedon weiter || untersuchen, und hoffe so bis zum Herbst eine hübsche Studie abschließen zu können. Überhaupt scheinen die Crinoiden für die Lösung promorphologischer Fragen das interessanteste Object zu sein, denn bei keinem anderen Thier finden sich Metameren, Antimeren und Parameren zu gleicher Zeit.

Soweit ich die Literatur kenne, ist diese Seite in der Organisation der Crinoiden noch gar nicht speziell gewürdigt worden und ich gedenke mir das Gebiet für weitere vergleichende Studien zu occupiren. Die Übergänge metamerer Theilstücke in radialsymmetrische und einzelner Radien (in den Armen) in bilateralsymmetrische sind so anziehend und vielversprechend für prinzipiell morphologische Studien, das haben mir meine kurzen Studien schon gelehrt.

Freilich beschäftigen mich die Crinoiden nur einen Theil des Tages, da ich noch andere Arbeiten auf dem Herzen habe, die auch ihr Recht verlangen. Studien über die tektonischen Verhältniße des Golfes und die von den Bruchlinien abhängigen Eruptivpunkte, chemische Erörterungen über den Kreislauf des Kalkes im Meer, wollen in der Literatur vorbereitet sein, damit ich in Neapel wohlgerüstet eintreffe. Für die letztere Frage habe ich || einen intimen Freund engagirt, der chemischer Geolog ist und auch ergänzend mit mir die Untersuchungen vornehmen soll, vorausgesetzt, daß er den Tisch bekommt. Ich würde mich zu sehr zersplittern, wenn ich auch diese Sachen genauer verfolgen wollte, so kann mir mein Freund einen Theil der Arbeit abnehmen und mir bleibt immer noch genug.

Die heteropische Vertheilung der Sedimente, die Entstehung des Sedimentmaterials, die Anpassungen der Fauna an die physikalischen Bedingungen des Untergrundes, die tektonische Grundlage des Golfes, die genaueren biologischen Verhältnissea der Bryozoenriffe und Melobesienlager bieten genug Stoff für meine Arbeitslust und genug Räthsel für mein Centralnervensystem.

Professor Zittel läßt Ihnen herzliche Glückwünsche und freundliche Grüße übersenden. Prof. Richard Hertwig habe ich hier gesprochen, er wird sich wohlfühlen und wird ein schönes dankbares Arbeitsfeld vorfinden.

Unter verehrungsvollen Grüßen

bleibe ich

Ihr dankbarer Schüler

Johannes Walther

Palaeontologisches Institut.

Alte Academie.

a korr. aus: Verhältnisser

Brief Metadaten

ID
15832
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
11.02.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15832
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; München; 11.02.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15832