Johannes Walther an Ernst Haeckel, Hallstadt, 28. Juli 1884

Hallstadt, 28. Juli

1884.

Hochverehrter Herr Professor!

Aus den Korallenriffen des Salzkammergutes sende ich Ihnen meine herzlichsten Grüße; zugleich die meines jetzigen Meisters Mojsisovics, mit dem ich nun bald zwei Monate herumsteige.

Täglich freue ich mich, daß ich mir gerade ihn zum Lehrer ausgesucht habe, dessen Arbeiten einen Wendepunkt in der geologischen Forschung bezeichnen, der dem Lyell’schen Grundgedanken Wirklichkeit verschafft hat und seine weittragende Bedeutung auf genetischer Basis in der Natur nachgewiesen. Was ich bis jetzt nur ahnte, davon bin ich jetzt überzeugt; daß Mojsisovics der bedeutendste Geologe unserer Zeit ist. Es macht mir viele Freude, wie mir seine Anschauungen nach und nach in Fleisch und Blut übergehen und wie ich in seinem Sinne die schwierigen Verhältniße des Gebietes || mir klar zu machen lerne.

Nachdem ich im letzten Winter fast nur paläontologische und geologische Studien in Neapel gemacht habe, geologisch wichtige Thiere untersucht, ihre Lebensweise beobachtet und viele Experimente angestellt habe, dann speziell den Bryozoen- und Melobesienriffen meine Aufmerksamkeit zuwandte, habe ich die Küstenbildungen Siziliens besonders untersucht – und jetzt setze ich ähnliche Untersuchungen auf geologischem Gebiete fort. Riffe und Seichtwasserbildungen setzten das ganze hiesige Gebirge zusammen und ich finde interessante Zusammenhänge mit dem was ich in Italien gearbeitet habe. „Küstengeologie“ ist mein Lösungswort geworden und mein Lehrer schürt mir dasa Verlangen auf dem Gebiet weiter zu arbeiten. Meine zoologischen Studien bilden die nothwendige Basis für solche Arbeiten wo Zoologie und Geologie Hand in Hand gehen muß und ich sehne mich, wieder ans Meer zu kommen um meine Studien fortzusetzen.

Freilich das wie und wo ist mir noch nicht recht klar. Soweit man auf Dohrn rechnen kann, habe ich Aussicht dort die Gelegenheit für meine Untersuchungen zu finden.

Wenn der neue Dampfer fertig sein sollte || und sich Dohrn für meine Absichten noch intessirt, dann wäre dort der geeignete Platz für mich und ich könnte in einer Geologie des Golfes von Neapel eine Reihe der wichtigsten geologischen Fragen ihrer Lösung näher bringen. Ohne Dampferdredge könnte ich nur unvollständiges Material bekommen und so sehe ich der Zukunft erwartend entgegen, obb meine Wünsche erfüllt werden.

Hier in den Alpen wird mir immer klarer, daß sporadische Tiefseeforschungen nur wenig, genaue Küstenuntersuchungen aber reiche Erfolge für die Geologie versprechen und wenn Lust und Fähigkeit zu einer Arbeit gleich groß genannt werden, dann müßte ich der Mann für eine solche Arbeit sein.

Bisher waren wir in den unwirthlichen Steinwüsten des todten Gebirges, gestern sind wir nach Hallstadt übergesiedelt von wo der Dachstein in Angriff genommen wird. Leider regnet es heute und verdammt uns zur Stubenarbeit, hoffentlich gehts bald wieder auf die Berge.

Ende August gedenke ich heimzukehren und werde mir einmal erlauben Sie dann aufzusuchen im neuen Institut und neuen Hause. Mit dem Wunsche, daß Sie wohl und gesund sind und mir Ihre Zuneigung auch fernerhin bewahren möchten bleibe ich

unter verehrungsvollen Grüßen

Ihr treu ergebener Schüler

Johannes Walther.

a korr. aus: dies; b korr. aus: op

Brief Metadaten

ID
15831
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich
Datierung
28.07.1884
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15831
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; Hallstatt; 28.07.1884; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15831