Johannes Walther an Ernst Haeckel, Rom, 28. Dezember 1883

Rom, d. 28. December

1883.

Hochverehrter Herr Professor!

Gestatten Sie, daß ich Ihnen zum Jahreswechsel meine herzlichsten Glückwünsche darbringe. Mögen Sie in Ihrem neuen Heim glücklichfrohe Tage erleben und im neuen Institute alle Annehmlichkeiten bei Ihrer Thätigkeit, die Sie bisher so verschiedentlich vermißten, in reichem Maße finden.

Während Sie in Schnee und Eis sind, verlebe ich meine Weihnachtsferien im schönen Rom unter lieben Freunden und angenehmen Bekannten bei zwar kühlem aber wolkenlosen schönem Wetter. So interessant Neapel ist, und so großartig seine Umgebungen, so zog ich doch vor, hier mein Fest zu verleben wo die Kunst durch ihre höchsten Meisterwerke spricht. Durch Dohrns Empfehlung war es mir noch möglich, den Empfangsabend beim Kronprinzen mitzunehmen, so daß mein Aufenthalt hier nach den verschiedensten Seiten interessant || und reich war.

Von meinem Aufenthalt in Neapel bin ich bisher recht sehr befriedigt. Durch Ihre liebenswürdige Empfehlung fand ich bei Dr. Lang und Dr. Eysig sehr freundliche Aufnahme, ebenso bei Professor Dohrn mit dem ich schon manch‘ interessantes Gespräch führte.

Meiner Absicht gemäß begann ich bisher keine specielle Untersuchung, denn ich wollte in Napoli das studiren, was man nur an einer zoologischen Stazion studiren kann – das Meeresleben mit seiner reichen Formenwelt. Und so habe ich gedregt, pelagisch gefischt und untersucht was mir unter die Hände kam. Letzterzeit etwas specieller das Nervensystem von Lophius. Professor Dohrn veröffentlicht binnen kurzen eine Anzahl höchst bedeutungsvoller Studien zur Entstehung des Wirbelthierkörpers. Er gab mir die Druckbogen zu lesen und ich bin ganz überrascht von den neuen Funden ebensowie von der vielseitigen Behandlungsweise des Problems. Alle Organsysteme in ihrem correlativem Zusammenhang werden berücksichtigt und das Beobachtungsmaterial ist großartig. Ich bin in hohem Maße gespannt welche Aufnahme die Studien finden werden. ||

Anschließend an diese Untersuchungen hatte mir Dohrn vorgeschlagen, die unpaaren Flossen zu bearbeiten. Das Thema zieht mich im höchsten Maße an und doch schwanke ich noch, ob ich es annehmen soll, da es immer zwei Jahre zur gründlichen Behandlung beansprucht. Meine Ziele gehen aber vorderhand nach anderer Richtung und ich habe noch soviel palaeontologisch-geologisch zu lernen, daß ich wohl die schöne Arbeit Anderen überlassen muß.

Carl Vogt ist jetzt noch in Neapel und arbeitet für seine Anatomia comparativa, über Würmer, jetzt über Sipunculus. Mit ihm und seiner Familie kam ich öfters bei Dohrn zusammen und habe da schon recht interessante Stunden erlebt. Freilich habe ich da manchmal einen recht harten Stand, doch kämpfe ich muthig für Jena.

Bis März werde ich noch in Neapel bleiben, dann geht’s geologisch nach Campagna, Calabrien und Sicilien. Kleinenberg lernte ich in Neapel kennen und konnte ihm dort Ihre Grüße überbringen.

Im Juni gehe ich dann nach Wien um mit Mojsissovics nach Dachsteingebiet und Steiermark zu den geologischen Aufnahmen zu ziehen. Ich freue mich sehr darauf mit diesem geistvollen Forscher längere Zeit verkehren zu können. ||

Jüngst bekam ich aus Jena Nachricht über die Gährungen in der Studentenschaft sowie einen speciellen Bericht über den Festcommers am Luthertage. Ihre Rede hat mich im hohen Maße begeistert und ich wünschte nur damals in Jena gewesen u sein um Ihnen dankend die Hand zu drücken für Ihre treffenden freimüthigen Worte. Solange Dr. Finkenschaft solche Freunde wie Sie hat, wird sie immer mehr an eigener Kraft und stolzem Selbstgefühl zunehmen und sich die Stellung erringen, die ihr gebührt.

Mit der Bitte, mich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin zu empfehlen und meinen kleinen Freund Walther bestens zu grüßen verbleibe ich

Ihr

dankbarer Schüler

Dr Johannes Walther

Brief Metadaten

ID
15829
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Datierung
28.12.1883
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15829
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; Rom; 28.12.1883; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15829