Halle 16 II 1919
Verehrte liebe Excellenz!
Heute an Ihrem Geburtstage gedenken wir Ihrer in herzlicher Verehrung und senden Ihnen unsere Grüße. In dieser Zeit, wo Gegenwart u. Zukunft in dunkle Wolken verhüllt sind, muß man bessrer Zeiten der || Vergangenheit gedenken, wo wir glücklich waren, meist ohne es zu wissen.
Uns gehts daheim gut. Hellmut, der nach bestandenem Abitur voriges Jahr als Soldat eingetreten war u. Offizier werden wollte, kam nicht mehr ins Feld und studirt jetzt hier Jura. Er möchte Verwaltungsbeamter werden, wofür er gute Anlagen hat.
Sigrun ist ein intelligentes Mädel von 11 Jahren u. hilft der Mutter wo sie kann.
Meine Frau hat ihre schweren || Melancholien überwunden, die sie in Jena noch quälten u. hat einen Kreis wertvoller Freunde, in dem wir uns recht wohl fühlen. Mit Ziehen haben wir einen philosophischen Leseabend, an dem noch Unger-Götz’s teilnehmen u. ein Altphilologe mit Frau.
Ich arbeite mehr als je, und habe in meinem Institut eine sehr befriedigende Tätigkeit. Mit dem Mineralogen v. Wolff stehe ich noch sehr gut u. vertrauend; an strebsamen Schülern u. zahlreichen Hörern fehlts mir nicht, und meine literarischen Arbeiten gehen voran. Ich drucke an einer Allgemeinen Palaeontologie in der ich meine geologisch biologischen Arbeiten zusammenfasse u. neue Auflagen von || mehreren Büchern lassen mich kaum in den Ferien zur Ruhe kommen.
Aber heute muß Jeder, der arbeiten kann, seine letzten Kräfte hergeben, wenn unser armes Vaterland wieder hochkommen soll – und so schone ich mich nicht und arbeite, was ich irgend leisten kann.
Frau Buchholz ist hier erkrankt, doch scheint sie die Liebeskrise überstanden zu haben. Ich lag kürzlich an einer schweren Colitis, doch bin ich rasch wieder genesen u. kann das Zwischensemester vor 80 Zuhörern mit gewohnter Frische halten.
Ich würde Sie gern einmal besuchen, aber man kann jetzt gar nicht an Reisen denken.
Mit herzlichen Grüßen von meiner Frau
Ihr
treu ergebener
J Walther