Steglitz, Heesestr. 18
15.II.13.
Mein hochverehrter, lieber Herr Professor Haeckel!
Wie wohl haben meinem Herzen Ihre warmen Worte der Teilnahme getan. Vielen, vielen Dank. – – – Wie oft habe ich in diesen schweren Stunden zu Ihrem Bilde aufgeschaut, um Kraft und Fassung ringend. Und Sie haben mir geholfen, stark zu bleiben. Und ich hoffe, allmählich werde ich auch wieder froh werden. Jetzt freilich erscheint mir das Leben so leer, seit Vater uns verlassen, und meine || gute Mutter leidet unendlich, ist dazu auch körperlich geschwächt, daß sie in der Arbeit keinen Trost suchen kann. Die vierzigjährige Ehe meiner Eltern war eine einzige Harmonie, nachdem sie schon von klein an – als entfernte Verwandte – die besten Spielkameraden gewesen. – –
Viel Arbeit lastet jetzt auf mir, denn da der Tod unseren Vater mitten aus seinem Wirken gerissen, ist vieles ungeordnet und gerade jetzt sind die Zeiten recht schlecht und wir haben mit den Häusern rechte Sorgen. – –
Die lieben Cromptons haben uns helfend zur Seite stehen wollen, aber es ist da wenig || für sie tun.
Nun feiern Sie morgen Ihren 79. Geburtstag und ich will nicht fehlen, unter den ungezählten Gratulanten. Recht von Herzen wünsche ich Ihnen ein gesundes, ahn Freuden reiches, an Enttäuschungena armes – denn deren haben Sie genug erlitten – neues Lebensjahr! Mögen Sie noch oft, im Herzen jung und im Geiste frisch, diesen Tag begehen. –
Ich werde Ihrer morgen besonders stark gedenken, da ich einen kleinen Lichtbildervortrag über den römischen Kongreß in der Jugendabteilung || der freireligiösen Gemeinde halte.
Nun seien Sie nochmals, hochverehrter Herr Professor Haeckel, von ganzem Herzen bedankt für Ihre Liebe und Güte, die mich bereichert und stärkt. Wie gern würde ich Ihnen einmal wieder die Hand drücken, nachdem so oft mein Mißgeschick ein Wiedersehen vereitelte!
Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen – auch von meiner Mutter – verbleibe ich in steter Dankbarkeit
Ihre Erna Friederici
a korr. aus Enttäuschunges