Steglitz, Heesestr. 18
8.III.12.
Mein hochverehrter Herr Professor Haeckel!
Mit Freuden erhielt ich Ihren lieben Brief und las, daß Ihnen die Orchidee gut gefallen hat. Ich bin Ihnen doch so unendlich dankbar für Ihre Güte gegen mich, für all die Lebensbereicherung, die Sie mir durch Ihre Persönlichkeit und Ihre Werke geschenkt, – es war mir wirklich ein Bedürfnis – nun auch Ihnen eine kleine Freude zu bereiten. Und doch bin ich nun unbescheiden genug, Ihrem liebenswürdigen Anerbieten, mir ein Buch zu schenken, nicht mich ablehnend zu verhalten. Sie bieten mir die indischen Reisebriefe an. Die würde ich gerade sehr gern besitzen. Es ist nämlich das erste Buch von Ihnen, welches ich las. Mein Vater hatte es aus der Bibliothek entliehen und las uns vor. Wir hatten von der || Lektüre einen großen Genuß. Darauf schaffte ich mir die Welträtsel an, die Lebenswunder (gr. Ausg.) schenkte mir mein Vater, desgl. später die hier in Berlin gehaltenen Vorträge – – mehrere Broschüren waren Sie selbst so gut, mir zu senden.
Der Schluß Ihres lieben Briefes hat uns sehr betrübt. Wir hofften doch, daß wenigstens die Schmerzen jetzt beseitigt seien; aber wenn Ihr Allgemeinbefinden sich gebessert, so ist das doch ein gutes Zeichen und die Folgen des bösen Bruches || werden gewiß schließlich schwinden – wenn auch sehr langsam. –
– – – Bei Cromptons geht es wieder schlecht, denn Herr v. Crompton hat wieder krank gelegen u. ist noch immer ohne Stelle. Hier in Berlin ist die Konkurrenz so groß, daß unsere Freundin mit einer Ausstellung schwerlich etwas erreicht. Mit meiner Schwester liegt die Sache eben so traurig. – Vor 10 Jahren unterhielt sie einen gut gehenden Malzirkel – aber jetzt breiten sich die jungen Mädchen auf Berufe vor, u. haben nicht Zeit, zum Vergnügen Malen u. Kunstgewerbe zu treiben. Eine feste Anstellung hat meine Schwester als Dissidentin nicht || bekommen. Wir sind eben in Preußen! –
Uns tut es auch zu leid, daß Frau von Crompton und ihr Mann sich so quälen um befriedigende Tätigkeit, wir haben auch unser Möglichstes getan, Ihnen zu helfen, konnten aber nichts erreichen, außer der Arbeit für Dr. Vogtherrs Buch, von der Ihnen ja Frau von Compton schrieb. Herr Dr. Vogtherr würde auch bereit sein, Frau von Crompton als Chemikerin auszubilden, doch scheint sie dazu nicht große Lust zu haben. Ich habe sie übrigens die letzten Wochen nicht gesehen, denn ich war zu sehr beschäftigt, auch ist meine Mutter noch nicht recht auf dem Posten.
Nun ist es auch höchste Zeit, meinen Brief zu schließen.
Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen und vielen Grüßen auch von meinen Eltern –
Ihre dankbare
Erna Friederici