Siebold, Carl Theodor Ernst von

Carl Theodor Ernst von Siebold an Ernst Haeckel, München, 28. Dezember 1868

München den 28/12 68

Verehrtester Herr College!

So eben habe ich Ihr herrliches Buch: natürliche Schöpfungsgeschichte beendet; das war für mich eine äußerst anziehende Lektüre; da ich mich noch nicht einmal für Zusendung des Buchs bedankta habe, so will ich Ihnen heute meinen doppelten Dank senden, für das Buch und für den Genuß, den mir die Durchlesung desselben gewährt hat. Sie werden mir es aber nicht übel nehmen, wenn ich hier und dort nicht ganz einverstanden sein kann, freilich nur in Nebendingen, in der Hauptsache kann man ja nicht anders, als mit Ihnen und Darwin einverstanden sein. Und so bin ich es dann auch von ganzer Seele, obwohl ich mich schon zu den älteren Zoologen zählen muß; ich rechne mich nämlich nicht zu jenen älteren Leuten, denen Sie (pag. 532) nicht zumuthen, „noch am Abend ihres Lebens sich einer Reform ihrer, zur festen Gewohnheit gewordenen Weltanschauung zu unterziehen.“ Ich glaube, Sie gehen zu weit, wenn Sie die älteren Zoologen und Botaniker ganz aufgeben und (pag. 535) nur allein von „denkenden jüngeren Naturforschern“ sprechen, als könnten ältere Naturforscher schon gar nicht mehr sich Darwin’s Ideengang aneignen.

Ich habe neulich eine Lanze gegen Bischoff für Sie brechen müssen; dieser Naturforscher kann freilich von seinen altherkömmlichen Gewohnheits-Gedanken nicht mehr || lassen. Bei dieser Gelegenheit brachte er Ihre Tafeln 240b, 240c zur Sprache, die für mich so klar die Verwandtschaft aller Wirbelthiere, den Menschen mit eingeschlossen erkennen lassen. Bischoff meinte, Sie hätten die menschlichen Embryonen etwas frei gezeichnet, damit sie den Hunde-Embryonen näher rückten. Ich glaube das nicht. Können Sie mir vielleicht sagen, welche Abbildungen Sie dabei kopiert haben? Mir wäre es lieb, wenn ich meinem Collegen diese Original-Abbildungen vorhalten könnte.

Schade, daß Geinitz zu viel an den silurischen Gliederwürmern herausgesehen hat, für Ihre Hypothese hätten diese Panzerwürmer eine hübsche Bestättigung abgeben können, wie Sie (p. 419) dieselbe bereits benutzt haben. Ich glaube, daß Geinitz doch nicht genug die niederen Thiere der Jetztwelt kennt, um so schwierige Probleme der Urwelt zu lösen, wie er es kürzlich unternommen hat. Ich bin überhaupt oft erstaunt, was ein Palaeontolog alles schon kann und mit wie wenigem derselbe sich oft begnügt, um sich das Bild eines unbekannten Thieres fertig vorzustellen. Ein Nonplusultra hierin hat kürzlich Herr Bergrath Jenzsch in Gotha geleistet. Der muß wirklich ein Sonntagskind sein; im feuerflüssiggewesenen Gestein die Räderorgane, Hoden und sogar den Samen einer Trichodina (Trigotina nach Jenzsch) unterscheiden zu kön-||nen, dazu gehört mehr als Fantasie.

Hoffentlich lassen Sie sich durch diese Epistel nicht abhalten, das allerdingsdürftige Material, was Sie aus der hiesigen paläontologischen Sammlung in Händen haben, einmal mit Ihrem Scharfblick zu mustern, und auch (Zittel und mir) eine erläuternde Mittheilung darüber zu machen, die ich gerne in die Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie aufnehmen würde.

Indem ich mich noch immer der angenehmen Stunden erinnere, die ich vorigen August so unerwartet in ganz traulichem darwinistischen Gespräch mit Ihnen verbringen konnte, wünsche ich Ihren weiteren literarischen Arbeiten denselben Erfolg, den Ihre Schöpfungsgeschichte verdienterweise sich zu erfreuen hat. Alles liest hier Ihre Schöpfungsgeschichte, alle hieher gelangten Exemplare sindb aus den Buchhandlungen in feste Hände gewandert. Ich bin überzeugt, daß Ihr Verleger nächstens eine zweite Auflage von Ihnen verlangt, wozu ich von Herzen gratulire.

Ihnen glückliches Neujahr wünschend verbleibe

ich Ihr freundlichst

Ergebener

Siebold

Haben Sie vielleicht noch einen Separat-Abdruck von nr. 15 und nr. 36 (pag. 553 Ihrer Schöpfungsgeschichte) für mich übrig?

Sollte es wirklich Hunde gegeben haben, welche es im wahren Sinne des Worts zum Zählen bis 40 oder 60 gebracht hätten. Jene dressirten || sogenannten gelehrtenc Hunde, welche ich gesehen habe, konnten nicht bloß zählen sondern auch rechnen; das war aber weder ein Zählen noch Rechnen von Seiten des Hundes, sondern die Dressur war, wie mir von einem Taschenspieler vertraulich mitgetheilt wurde, darauf gerichtet, das scharfe Gehör des Hundes auf ein gegebenes für die Zuschauer überhörbares Zeichen so zu benutzen, daß der Hund bei dem Umkreisen der vorgelegten mit Zahlen beschriebenen Karten nach dem Willen seinesd Herrn vor dieser oder jener bestimmten Karte stehen blieb, die Karte alsdann apportirte u. s. w.

S.

a korr. aus: zu; b korr. aus: in; c eingef.: gelehrten; d gestr.: des, eingef.: seines

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.12.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15293
ID
15293