Richard Semon an Ernst Haeckel, München, 20. Dezember 1913

HOHENZOLLERNSTR. 130

MÜNCHEN

20/XII 13.

Hochverehrter Herr Professor.

Herzlichsten Dank für Ihre freundlichen Zeilen und für die Mühe, die Sie sich mit der persönlichen Überreichung unseres Kollektivschreibens an Dr. Fischer jun. gemacht haben. Mit freudigen Erstaunen habe ich gehört, dass von den 300 Druckexemplaren der Zoologischen Forschungs Reisen nahezu 100 verkauft sind. Hoffentlich stellt sich jetzt nach dem Abschluss des ganzen und nach dem Erscheinen der eindrucksvollen Schlussübersicht Fürbringers noch ein Nachschub von Käufern ein.

An Dr. P. v. Ritter werde ich Ihrem guten Rate folgend einen kurzen aber sehr dankbaren Brief richten und ihm gleichzeitig ein Extraexemplar der Schlussübersicht mit Widmung übersenden. || Leider wird diese Schlussübersicht den Verdiensten, die sich Fürbringer um die „Zoologischen Forschungsreisen“ erworben hat, durchaus nicht gerecht. Es erklärt sich das daraus, dass er selbst der Verfasser und dabei viel zu bescheiden ist, sein eignes Verdienst in das rechte Licht zu setzen. Als Redakteur hat er während der letzten 17 Jahre eine ganz kolossale Masse Arbeit zu bewältigen gehabt, und wenn Sie seine Schlussübersicht durchlesen, werden Sie sehen, eine wie grosse Arbeitsleistung schon allein in ihr steckt.

Ich weiss, dass man es Fürbringer sehr verübelt hat, dass sein Schwiegersohn (mit dem ich übrigens seit langem und dauernd zerfallen bin) sein Nachfolger auf dem Heidelberg Lehrstuhl für Anatomie geworden ist. Ich glaube auch aus || einer Bemerkung, die Sie bei unserem letzten Zusammensein machten, schliessen zu dürfen, dass Sie Fürbringers Verhalten in dieser Angelegenheit nicht billigen. Ich habe in diese Sache keinen hinreichenden Einblick. Sollte Fürbringer Ihrer Meinung nach nicht richtig gehandelt haben, so geschah es sicher nur aus übergrosser Rücksicht auf seine schwer leidende Frau, und auch sein eigener leidender Zustand (schwere Neurasthenie) hätte dann als Entschuldigung zu gelten, hervorgerufen durch die Schicksalsschläge, die er und sie beim Tode des einzigen Sohnes zu erleiden gehabt haben.

Auf der anderen Seite aber giebt es keinen, der treuer zur Sache der vergleichenden Morphologie gehalten und seine Verehrung für die Personen ihrer grossen Führer, für sie und Gegenbaur tatkräftiger || betätigt hat, als er. Wenn er einmal in einem anderen Punkte eine Schwäche gezeigt haben sollte, in dieser Beziehung hat er sich doch zeitlebens als wahrer rocher de bronce bewährt, und das ist doch sicher, sub specie aeternitatis betrachtet, die Hauptsache.

Ich glaube, dass Fürbringer das Gefühl hat, sein Verhältniss zu Ihnen sei nicht mehr, wie es früher gewesen ist, und ich bin überzeugt, dass dies ein grosser Schmerz für ihn ist. Denn bei allem realen Denken und minutiösen Forschen ist er im Grunde eine durchaus romantische Natur und hängt zu Ihrer und Gegenbaurs Person mit einer gradezu schwärmerischen Verehrung.

Wenn Sie ihm also jetzt bei Gelegenheit des Abschlusses der Zoologischen Forschungsreisen, bei denen er sich so || glänzend unda so selbstlos bewährt hat, einige herzliche Worte der Anerkennung widmen würden, so würden Sie ihm sicher dadurch die allergrösste Freude bereiten und ein freundliches Licht in seinen, wie ich fürchte, nicht sehr heiteren Lebensabend werfen.

Vielleicht haben Sie meine Bitte bereits erfüllt, noch ehe dieser Brief überhaupt in Ihre Hände gelangt ist, und dann wäre die ganze langatmige zweite Hälfte desselben überflüssig. Ich habe aber Grund anzunehmen, dass Fürbringer unter dem Gedanken leidet, sein Verhältnis zu Ihnen sei getrübt, und deshalb wollte ich die Gelegenheit des Abschlusses unserer gemeinsamen Redaktionstätigkeit nicht vorübergehen || lassen, ohne eine bescheidene Bitte zu wagen, um eine Trübung der Beziehungen derjenigen beiden Männer zum Verschwinden zu bringen, denen die schöne Reise und das stolze Werk doch im Grunde des allermeiste verdankt. Sollte ich mich übereifrig gezeigt haben, so verzeihen Sie mir bitte.

Nochmals herzlichste Weihnachts- und Neujahrswünsche von meiner Frau und von mir.

Stets Ihr dankbar und Die tief verehrender Schüler

Richard Semon.

a korr. aus irrtüml.: uns

Brief Metadaten

ID
15057
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
20.12.1913
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
13,5 x 21,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15057
Zitiervorlage
Semon, Richard Wolfgang an Haeckel, Ernst; München; 20.12.1913; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15057