Richard Semon an Ernst Haeckel, Amboina, 14. Januar 1893

Amboina

Jan. 14. 1893

Sehr geehrter Herr Professor.

Ich schreibe Ihnen heute von der letzten Hauptstation meiner Reise, von dem herrlich schönen Amboina, das so recht geeignet ist einen würdigen Abschluss meiner prachtvollen Reise zu bilden. Folgendes sind meine Erlebnisse, seit ich Ihnen zum letzten Male (ich glaube von Tjibodas) geschrieben habe.

Am 11. December ging von Batavia per Schiff nach Samarang, von da mit Bahn und Wagen nach Magelang und besuchte von dort aus die grossartigen Tempelreste Borobudura und Medut (buddhistisch) und Prambananb (brahamistisch) in Mitteljava. Es ist erstaunlich, zu || sehen, auf welcher hohen Culturstufe die jetzt fast ausschliesslich in Bambushütten lebende, wohl eine Industrie aber keine Kunst besitzende Bevölkerung vor vier oder fünf Jahrhunderten gestanden haben muss. Ich habe von jenen Tempeln einige Photographien aufgenommen und eine grössere Anzahl von einem inländischen Photographen in Djokjokarta gekauft. So werden Sie selbst urteilen können. – Ich besuchte auch Djokjokarta und Soerakarta, wo sich noch dem Namen nach unabhängige Fürstenhöfe, die einzigen auf Java, befinden. Von Soerakarta ging ich mit der Eisenbahn nach Soerabaya und von dort auf dem längeren Wege um Celebes herum über Ternate Batyam und Boeroe nach Amboina. Man nennt dieses die „grosse“ Moluckentour, und ist dieselbe sehr lohnend, da sie Gelegenheit || giebt bei Makassar viele Orte an der Westküste von Celebes (Paré paré. Toutoli, Kwendang, Amoerang) und die prachtvolle nördliche Halbinsel von Celebes „Minahassar“c (Menado, Gorontalo), sowie verschiedene der anderen Molucken (Ternate, Tidore, Batjan, Boeroe) kennen zu lernen.

Von Macassar machte ich zusammen mit dem Secretär des Gouverneurs von Celebes einen Ausflug nach Goa und stattete dem Radja von Goa, der noch gänzliche unabhängig ist, einen Besuch ab. In Ternate, das in lebhafter Handelsverbindung (einheimische Prauen) mit Neu Guinea steht, gab mir der Secretär des Residenten, Herr Sedé eine hübsche Sammlung von 12 Paradiesvögeln, 8 verschiedenen Arten angehörend, für die Universität Jena, die der Sammlung des zoologischen Instituts zur Zierde gereichen werden. ||

Am 1. Januar Abends langte ich hier an und richtete mich bald häuslich ein. Ich habe mir ein hübsches Häuschen am Meere gemietet (3 Zimmer mit Verandah [!], gedeckte Halle als Laboratorium verwendet, Küche und Nebenräume nebst Möbeln, Küchengeräten, Glas etc. Bett und Tischwäsche für 25 Gulden monatlich), habe einen Koch engagirt und führe meine eigene Wirtschaft. So bin ich ganz unabhängig und da mein Haus auch fern von Centrum der Stadt liegt, auch ganz ungestört. Ich habe eine grössere Segelprau und ein Rudercanoe gemietet und habe vorläufig in letzterem mit drei Fischern (zugleich Taucher) in der näheren Umgebung von Amboina gefischt. In 4 Tagen unternehme ich eine 10 tägige Fahrt um die Insel in der grösseren Prau, im nächsten Monat Touren nach Nusa laut Saparuad, vielleicht auch der Südküste von Ceram. Dazu brauche ich dann noch mehr Mannschaft. ||

Ich will nun gleich vorausschicken, dass die Zeit des NW Monsuns f (October-April), während welcher ich hier bin, nach den Aussagen der hiesigen Fischer weit weniger günstig ist als die des SO Monsuns (Mai bis September). Nautilus wird fast nur bei SO Monsun gefangen; das noch immer unerklärte Phaenomen der sogenannten weissen See (Milchsee) bei Banda tritt im Juli, August und September auf.

Das ist nun einmal nicht zu ändern. Jedenfalls ist das Meer hier auch jetzt ganz ausserordentlich tierreich, selbst wenn man Neapel als Maassstab wählt. Die pelagische Fauna ist, soweit ich bis jetzt urteilen kann, der mitteländischen ebenbürtig aber weder quantitative noch an Schönheit und Grösse der Formen überlegen.

Dagegen ist die Fisch-, Cephalopoden-|| Gastropoden- Ascidien,- Wurm- [Anneliden, Gephyreeng, Planarien], Echinodermien-, Actinien, Fauna von einer Reichhaltigkeit, Form und besonders Farbenschönheit, wie sich sie bisher noch nie gesehen habe. Auch die Korallen sind prächtig. In 10 Tagen habe ich hier schon mehr und besser gesammelt als in Thursday Island in 2 Monaten. Vor mir haben hier schon viele gesammelt, im Sinne der modernen Zoologie Brock, Strubell, Bedot. Ob ich also viele „novae species“ mit nach Hause bringen werde, ist zweifelhaft. Jedenfalls (aber) werde ich für das zoologische Institut eine recht schöne marine Sammlung nach Jena schicken und das gereicht mir zur besonderen Genugtuung. Auch giebt das Fischen hier in dem krystallhellen Wasser der Bay soviel Gelegenheit || zum Beobachten der lebenden Tiere, dass sich auch wohl manche biologische Fragen hier werden lösen lassen.

Die Ausbeute der Fischerei ist täglich so reichhaltig und die Aufmerksamkeit, die ich der Conservirung der zahlreichen, meist so hinfälligen Formen widmen muss, nimmt meine Zeit so sehr in Anspruch, dass ich bis jetzt noch fast gar keine Spaziergänge und Ausflüge in das innere der bergigen, mit üppigster Tropenvegetation bedeckten Insel unternommen habe. Zudem ist es jetzt hier furchtbar heiss und die Tropenschlaffheit fängt an, ihren Einfluss auf mich zu üben. Vorläufig fühle ich allerdings nur einen leisen Hauch davon, aber es ist doch wohl für mich selbst ganz gut, dass ich in einigen Monaten || in ein kühleres Klima und zur Ausarbeitung meiner Reiseresultate zurückkehre. Ich freue mich schon darauf aus vollem Herzen, und dies und der Gedanke in den alten lieben Freundeskreis in Jena zurückzukehren, macht mir den Abschluss meiner wundervollen Reise, den Abschied von dem freien, ungebundenen Naturforscherleben, das Lebewohl von Palmenwäldern und unterseeischen „Guinen“, wie man sie hier nennt, leicht.

Etwa zwei Monate nach diesem Brief werde ich selbst in Jena eintreffen. Vorher schreibe ich Ihnen noch einige Male.

Mit herzlichsten Grüssen für ihre werde Familie, alle Jenenser Freunde und für Sie selbst

stets | Ihr dankbar ergebener | Schüler

Richard Semon.

a irrtüml.: Burralbudduh; b irrtüml.: Prambanang; c irrtüml.: Minahassa; d irrtüml.: Sapparuan; e irrtüml.: quantitav; f gestr.: während w; g eingef.: Gephyreen

Brief Metadaten

ID
14968
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Amboina (heute: Ambon)
Entstehungsland aktuell
Indonesien
Entstehungsland zeitgenössisch
Niederländisch-Indien
Datierung
14.01.1893
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
11,5 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 14968
Zitiervorlage
Semon, Richard Wolfgang an Haeckel, Ernst; Amboina (heute: Ambon); 14.01.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_14968