Moritz Seebeck an Ernst Haeckel, Jena, 14. April 1864

Jena den 14 April 1864.

Mein theurer, verehrter Freund,

Endlich hat mir Ihr ausführlicher lieber Brief vom 6n diesen Monats über Ihr Ergehen und Thun die schon lang ersehnte Nachricht gebracht. Haben Sie herzlichen Dank für die Freude, die Sie mir dadurch bereitet haben, für das so wohlthuende Vertrauen, mit dem Sie in Ihr innerstes Gemüth mich blicken lassen und vor allem für die frohe Kunde, daß Ihnen zur Arbeit neuer Muth erwacht ist. Nun Ihnen damit der erste Schritt wieder aufwärts gelungen ist, werden Sie mit bald wachsender Kraft höher und höher steigen und werden auch erkennen, daß nicht nur Entsagung Ihr ferneres Loos ist, sondern Sie auch neue edle Freude immer reicher gewinnen werden. „Wohl den Menschen, die durch das Jammerthal gehen und machen daselbst Brunnen“ – dies schöne Wort der Schrift wird sich auch an Ihnen erfüllen. Doch davon mündlich mehr, wenn wir uns erst wieder Auge in Auge sehen. Daß mir das bald werde, ist mein herzlicher Wunsch, ist mein Wunsch für nicht für mich selbst aus Liebe zu Ihnen, ist || es aber auch aus der Ueberzeugung, daß Ihnen heilender, als die einsame Arbeit, die mit Andern und für Andere sein wird, für die Anderen, die hier auf Sie harren, daß Sie ihnen Brunnen graben. Bedenken Sie auch, daß Sie hier noch Schweres zu überwinden haben und je Schwereres, je später Sie ihm entgegentreten. Wollen Sie gleichwohl erst nach Pfingsten zu uns zurückkehren, so kann ich das amtlich wohl verstehen, aber als Freund vermag ich nicht dazu zu rathen und möchte auch Ihr längeres Ausbleiben von Anderen, wie wohl leicht geschähe, nicht gern gemißdeutet sehen, als ob es Ihnen an der vollen Treue gegen Ihre Berufspflicht gebräche oder Sie nicht der Mann wären, dahin, wohin sie ruft, auch bei drohendem Wehe ohne Zagen und Zögern zu treten. Ich fühle mich zu sehr zu Ihnen als Freund, als daß ich das nicht offen aussprechen müßte, vertraue aber auch fest, daß Sie eben nur den Freund darin hören werden, || den Freund, der so aufrichtig zu Ihnen spricht, wie er es aufrichtig treu zu Ihnen meint. Doch damit genug; haben Sie jedes Für und Gegen reiflich erwogen, so handeln Sie nur nach eigener Ueberzeugung, und ob Sie dann früher oder später zu uns wiederkehren, das ist Ihnen immer gewiß, daß ich nur mit herzlichster Liebe und Freude Sie wieder begrüßen werde und gern bereit, jedes Schwere, das auf Ihnen liegt, mitzutragen, soweit Sie mir nur Theil daran geben mögen.

Unser Leben ist, seit Sie uns verlassen haben, in der gewohnten Bahn still fortgegangen. Meine Frau ist gegenwärtig bei den Ihrigen in Berlin und meine Schwester Adeline ist schon seit einigen Wochen in Baiern auf dem Land bei meiner älteren Schwester Luise, so daß ich von Beiden Ihre freundlichen Grüßen nicht unmittelbar erwidern kann. Die Stadt ist noch ziemlich ferienstille. Von Ihren Freunden ist nur Gerhardt hier, die andern sind || alle noch auswärts. Von Professor Schultze habe ich aus Bonn einen sehr erfreuenden Brief erhalten, er fühlt sich dort glücklich in dem Glück seines Bruders. Wie wenige sind hier, die ihn kennen! Und doch wie werth ist es gekannt zu sein! Mit der lang verhandelten Berufung eines Botanikers u. ebenso mit der eines pathologischen Anatomen sind wir noch nicht am Ziele. Es geht damit, wie in Schleswig; je näher am Ziel, desto höher steigen die Schwierigkeiten, nicht etwa weil die Erwünschtesten nicht kommen möchten, sondern weil sie für ihren Beruf Vorrichtungen begehren, die nur mit großen Opfern sich herstellen lassen.

Nach Hoffmanns Tod ist nun auch für die theologische Fakultät neu zu sorgen. Da aber liegt die Schwierigkeit, wie bei der Wiederbesetzung der Gerberschen Stelle, nur darin, daß die Wahl auf einen sehr engen Kreis beschränkt ist. Doch ich will sie nicht mit meiner Sorge und Noth beschweren; möchte ich doch nur die Ihrigen leichter machen! Bleiben Sie fern und nah immer freundlich zugewandt Ihrem von Herzen treu ergebenen Freunde

Seebeck

Brief Metadaten

ID
14767
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
14.04.1864
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,9 x 14,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 14767
Zitiervorlage
Seebeck, Moritz an Haeckel, Ernst; Jena; 14.04.1864; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_14767