Fürbringer, Max

Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Heidelberg, 9. Juli 1902

Heidelberg, 9.7.02.

Lieber und hochverehrter Freund!

Ich will gar nicht anfangen mit Entschuldigen meines langen Schweigens. Es ist unverantwortlich. Aber Du weisst selbst, wie schwerfällig ich bin und kannst mir glauben, dass ich aus einer Arbeitsnoth in die andere taumele. So willst Du wenigstens verzeihen, dass ich Deinen lieben Brief so lange unbeantwortet liess.

Zunächst herzlichsten Glückwunsch, dass es Dir und Deiner lieben Frau gut geht. Die Winterfrische hat auch das Gute, dass sie abhärtet und die Gesundheit kräftigt. Jetzt freilich herrscht hier eine Hitze, wie sie nur in den Ferien erlaubt sein dürfte, und wir beneiden Euch um das frischere Klima Jena’s. Doch sind wir glücklich, dass wir jetzt jenseits des Neckar’s wohnen, ohne Schnecken und jeden Abend || den frischen Odenwaldwinden ausgesetzt; jede Nacht fiel das Thermometer auf unserer Seite bis … 13°, oft noch viel tiefer, wenn auch der Tag zuvor sehr heiß war. Ein Gutes hat unsere Sonne: im Garten wächst es mächtig heran, und so hoffen wir, daß Dein lieber Besuch bei uns das neue Nest nicht zu kahl zeigen wird. Du wirst Dich dann auch überzeugen, dass unser Haus eine getreue Copie des Jenensers ist, und wirst sehen, dass wir hier ein Jenenser Nachleben führen. Der Blick von der Jenenser Veranda war weiter und freier, während hier die Berge eine breite grüne Mauer bilden; aber der Neckar und das mannigfach beleuchtete Schloss beleben die Gegend. Auch sonst zeigt sich auf unserer Neckarseite der Jenenser Einfluß. Wir haben hier eine Anzahl Gleichgesinnte unter Collegen gefunden und mit diesen einen Club der „Überflüssigen“ gegründet, der strengste Luxusgesetze hat und seine Lebensgewohnheiten gerade umgekehrt || errichtet wie die neuen luxuriösen Collegen diesseits des Flusses in der Stadt. Also auch darin ein lebhaftes Erinnern und Leben nach Jenenser Art.

Durch unsere doppelte Trauer ist namentlich meine Frau in der Sorge um Schwester und Schwägerin manches auferlegt; sie hat aber das Gute, dass sie uns von der Theilnahme an der sog. grossen Geselligkeit, seitens Ungeselligkeit, befreit.

Für Deine gütige Beurtheilung meiner Jenenser Redaktionsthätigkeit herzlichsten Dank. Ich verdiene aber die Anerkennung nicht. Herzlichst gefreut habe ich mich aber, dass die pecuniären Sorgen der Gesellschaft glücklich beseitigt sind. Ihr wie dem Referirabend sende ich die herzlichsten Wünsche und Grüsse.

Gegenbaur geht es z. Z. stationär. Die Schwäche der spinalen Muskeln erlaubt ihm das Gehen nicht mehr, die Zungenmuskeln gehorchen nicht mehr ganz. Er trägt aber seinen Zustand großartig und bewunderungswürdig; zeigt auch manchmal || Humor. Von Dir und Jena haben wir uns oft unterhalten. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, dass Du ihn noch wiedersehen mögest.

So bald Du in unsere Gegend kommst, hoffen wir ganz bestimmt darauf, dass Du unser Jenenser Haus besuchst. Wir möchten auch, dass unser Haus nach Jenenser Art später einmal eine Tafel erhielte, dass hier auch Ernst Haeckel nicht zu kurze Zeit weilte.

Und nun nochmals herzlichste Wünsche und Grüsse von Haus zu Haus

Dein

M. Fürbringer.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.07.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1357
ID
1357