Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Jena, 14. Oktober 1899

Jena, 14.10.1899.

Lieber und hochverehrter Freund!

Die heute in der Zeitung berichtete Mittheilung von Deinem Unfall erschreckte uns aufs Tiefste und jagte mich zugleich aus meiner schreibfaulen Lethargie auf. Zum grossen Glück lesen wir und hörten zugleich von Deiner l. Frau, dass Du mit einem blauen Auge davon gekommen seiest. So unterließ ich, um Dich nicht zu beunruhigen, die zuerst beabsichtigte telegraphische Anfrage und sende Dir zugleich im Namen meiner Frau und meiner Kinder die allerherzlichsten Wünsche zur baldigsten völligen Wiederherstellung. Wir hoffen zuversichtlich, dass wenn wir die Freude haben Dich wiederzusehen auch keine Spur von dem Unfall mehr wahrzunehmen ist, dass Italien dieses Mal Dir nur angenehme Erinnerungen hinterläßt, die bleiben, während die Unfälle schnell vergessen werden.

Über Deinen Brief haben wir uns sehr gefreut. Corsica hat es uns nach Deiner Schilderung angethan und wie gern möchten wir dort einen Frühling zubringen. Freilich stehen wir unter dem || Zeichen von unseres Karl Befinden und nach Deinen, theils tröstlichen, theils zur Resignation stimmenden Erfahrungen, und nach sonstigen Mittheilungen machen wir uns auf eine lange Geduldsprobe gefaßt.

Und zugleich herzlichen Dank für Dein grosses Geschenk, mit dem Du wieder in fürstlicher Weise Deine Freunde verwöhnst. Ich fand es vor, als ich von einer meiner Vergnügensreisen (in Leichenangelegenheiten) zurückkehrte, habe natürlich gleich tüchtig hineingeguckt, aber bald gefunden, dass zu seiner ernsthaften Lectüre eine andere Zeit und Sammlung gehört, als ich jetzt darüber verfüge. Ich bin mit Leichenreisen und entsprechenden Briefwechseln, mit militärärztlichen Cursen und mit der dringenden Fertigstellung einer Arbeit, bevor der Semesteranfanga sie ganz abschneidet, so zerrissen und verdummt, dass ich jetzt einer höheren Lectüre nicht würdig bin. So willst Du es auch nur als ein vorübergehendes Stimmungsbildb auffassen, wenn ich Dir mit zwei Worten sage, wie Vieles in dem Buche mich fesselte und entzückte, wie hinsichtlich anderer Punkte, so z. B. der Endfragen der || Physik, mein blödes Gehirn und meine beschränkte Kenntniß nicht mitzukommen vermochten und wie alt und ermüdet sich meine Seele Dir gegenüber fühlt, der mit immer frischer Kraft als Stifter und Anführer der Eclesia militans monistica auf den Kampfplatz tritt, während ich mit jedem Jahre toleranter werde und – für die nächste Zeit wenigstens – dem Conservativismus eine günstige äusserliche Prognose stelle. Aber, wie gesagt, das sind alles die Gedanken eines recht ermüdeten, gründlich im Peche sitzenden und mit seiner Leistungsfähigkeit mehr als je unzufriedenen Menschen.

Von ganzem Herzen wünschen wir Dir vollste Erholung und Erhaltung der gewonnenen Frische, die auch auf uns einwirken soll, und senden Dir die innigsten Grüsse.

Dein

M. Fürbringer.

a korr. aus: Semesterende; b korr. aus Stimmbild

Brief Metadaten

ID
1325
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
14.10.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1325
Zitiervorlage
Fürbringer, Max an Haeckel, Ernst; Jena; 14.10.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_1325