Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Neapel, 26. März 1895
Neapel, 26.3.1895.
Lieber und hochverehrter Freund!
Verzeihe, dass ich in Deine arbeitsreiche Zeit mit einer recht unbescheidenen Bitte eingreife. Heute wird mir der beiliegende Brief nebst Postanweisung zugesendet (via Jena) und ich weiß nicht recht, bei den vielen Protesten, die ich bereits gelesen und unterzeichnet, ob die vorliegende Sache eine unterstützungswürdige ist oder nicht. Du bist ganz in der Frage mitten drin und weißt genau Bescheid; darf ich Dich daher bitten, auch hier mit gewohnter Güte für mich das Beste wahrzunehmen und wenn Dir das vorliegende Unternehmen gut erscheint, in meinem Namen dem Herrn Bieber 10 bis 20 Mark einzusenden; danach mich aber energisch um Zusendung der Summe zu mahnen, da meinem durchlöcherten Gedächtniß sonst alles Mögliche von Veruntreuung zuzutrauen ist.
Meine Reise habe ich großen und bewährten Mustern folgend eingerichtet. Dein Ruhm hat mich nicht schlafen lassen und so habe ich mir das Vergnügen gemacht, in Rom auf einer || Marmortreppe mit meinen benagelten Stiefeln auszurutschen und mir eine sehr nette Contusion in der Gegend der unteren Rippen (partielle Fractur der 11. Rippe und bedeutende Quetschung des Opisthothonus) zuzufügen. Erst heute bin ich wieder in der Lage einigermassen meine Balance wiedergefunden zu haben, werde aber wohl noch einige Zeit brauchen, bis ich in seliger Unwissenheit, dass es im Rücken des Menschen so viel schmerzhafte Dinge giebt, wieder umherwandeln kann. Anatomisch habe ich viel dabei gelernt, für die Influenza war die erzwungene Ruhe auch ein gutes Ding, dazu Scirocco hier, der wenig von der Gegend zu sehen ließ – also habe ich in Summa eigentlich ein enormes Glück gehabt, daß es so und nicht anders lief. Unserena Plan, bald nach Sicilien überzusiedeln, möchten wir doch festhalten, nur weiß ich nicht, ob ich mir bei der desolaten Beschaffenheit meines Thorax den Luxus der Seekrankheit gestatten darf, und vor der Eisenbahnfahrt, via Reggio (36 Stunden bis Palermo!) schrecke ich auch einigermaßen zurück. Semon hätten || wir gern in Ravello aufgesucht; das wird aber unter den jetzigen Umständen leider unterbleiben müssen.
Der Frühling ist aber trotz alledem herrlich hier, freilich viele Wochen hinter dem zurück, den wir auf unserer Hochzeitsreise zur gleichen Jahreszeit hier durchmachten; aber wie verschieden von dem starrenden Eisfelde, das sich Deutschland nennt! Auf dem Brennerb tiefer Schnee neben den Schienen, in Trient blühende Mandelbäume warme Sonne und herrlicher blauer Himmel, der uns bis vorc Neapel treu blieb; erst hier der Rückschlag. Die Apenninen bei Pistoja ganz mit Crocus übersät, alle Wiesen bei Rom rosa und lila von Anemone pratensis, hier alles in üppiger Grüne, nur manche Bäume haben noch keine Knospen. Doch freue ich mich auf den zweiten Frühling, den mein liebes Jena mir darbieten wird.
Infolge meiner beschaulichen Ruhe habe ich wenig hier erlebt; die meinigen haben es übel mit mir getroffen, indem sie in der Hauptsache auf sich angewiesen waren. Hoffentlich || ändert sich das bald und erblühen uns noch einige recht schöne und genußreiche Wochen.
Mit herzlichen Grüßen und Wünschen für Dich, Deine liebe Frau und die Deinigen von uns Dreien
Dein treu ergebener
M. Fürbringer.
a korr. aus: Meinen; b korr. aus: Gott; c eingef. mit Einfügungszeichen: vor