Jena d. 5. Sept.
1899.
Geehrtester Herr Professor!
Gestatten Sie, daß ich Ihnen über den Stand der Preisfrage-Angelegenheit referiere. Am 20. August fuhr ich nach Essen und wurde am Bahnhof von Prof. Fraas abgeholt, der mich nun in die prachtvolle Villa Krupps fuehrte. Beim Fruehstueck lernte ich dann Familie Krupp kennen und Nachmittags zeigte mir Prof. Fraas die Arbeitercolonien, die huebschen Häuschen der pensionierten Arbeiter, die Haushaltungsschule, das Reconvalescentenhaus, das || Junggesellenhaus u. A. m. Am Abend war großes Diner wegen eines a japanischen Admirals, der eben da war. Am folgenden Tag sah ich mit Prof. Fraas die Fabrik an, die mich natuerlich sehr interessirte.
Herr Krupp hat mir Gruesse an Sie aufgetragen. Frau Krupp sagte mir, daß sie die Schoepfungsgeschichte zuerst gelesen und dann ihren Mann darauf aufmerksam gemacht habe. Herr Krupp war recht freundlich, aberb hat mit mir nur wenig über die Preisfrage gesprochen. Des Abends || nach dem großen Diner wurde c eined Berathung arrangiert, zu der Prof. Fraas, Assessor Korn, noch ein anderer Assessor und ich zusammenkamen um den Text festzustellen. Herr Krupp kam erst nachher dazu um sich das Resultat vorlegen zu lassen. Ich habe dabei auch den ersten Entwurf von Herrn Krupp gesehen, der dann durch die Einwirkung von Prof. Fraas und Assessor Korn noch veraendert worden war.
Der jetzige e Text lehnt sich an den Entwurf an, welchen || Sie gesehen haben, nur ist die natuerliche Vererbung von der Vererbung der Tradition getrennt worden, wie wir dies besprochen haben. Ein von mir herruehrender Entwurf, (welcher die Sache mehr auf das naturwissenschaftliche Gebiet beschraenken und die natuerliche Vererbung in den Vordergrund stellen wollte) wurde verworfen.
Um nun die Herausgabe der Preisaufgabe zu bewirken, wurde beschlossen eine Commission zu bilden von drei Herren, welche das Ausschreiben ergehen lassen und die Preisrichter ernennen. ||
Ich dachte, daß es Ihnen nicht angenehm waere, die Herausgabe allein zu übernehmen. Herr Krupp läßt Sie bitten Mitglied dieser dreigliedrigen Commission zu sein. Weitere Mitglieder sollen Prof. Fraas und Prof. Conrad (Halle) sein; ersterer als Freund des Herrn Krupp, welcher somit immer die Verbindung mit ihm vermitteln kann, letzterer als ein angesehener Nationaloekonom, || welcher sozusagen die historisch-socialpolitische Seite der Frage vertritt.
Wollen Sie, verehrter Herr Professor, die Guete haben mir mitzutheilen, ob Ihnen dieses f Arrangement passend erscheint.
Wenn dies der Fall ist, so moechte ich Sie bitten mir mitzutheilen ob ich mich in Ihrem Namen, wie auch im Auftrag von Herrn Krupp an Prof. Conrad wenden || kann.
Ich vermuthe naemlich, daß Sie Herrn Conrad kennen, da er frueher einmal in Jena war. Ich soll einmal nach Halle fahren und mit Prof. Conrad die Sache besprechen. Darf ich ihm einen Gruß von Ihnen sagen?
Ich werde noch etwa 10 Tage hier bleiben und gedenke dann mit meiner Frau auf vier Wochen nach Freiburg zu gehen.
Ich hoffe, daß es Ihnen auf der Reise recht gut geht || und wuensche Ihnen, daß Sie immer guenstiges Wetter haben.
Mit groeßter Hochachtung
Ihr ganz ergebener
Heinrich Ernst Ziegler.
a gestr.: pap; b eingef.: war recht freundlich, aber; c gestr.: an; d korr. aus: einem; e gestr.: Entwurf; f gestr.: Aga