Wilhelm Zenker an Ernst Haeckel, Hamburg, 2. Juli 1861

Hamburg 2 Juli 1861.

Lieber Haeckel!

Getheiltes Zürnen, was meinen Sie? ist das halbes oder doppeltes Zürnen? Sie müssen’s jetzt ausprobirt haben; denn ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie sowohl wie Ihr Herr College und Freund Gegenbaur mir zürnen. Ich habe dagegen keine andre Waffe als wieder zu zürnen, zwar nicht Ihnen, aber dem pechösen Schicksal und andrerseits – mildernde Umstände hervorzuheben. Das inliegende Couvert des nicht bestellbaren Briefs an Lincke Exc. mag Ihnen beweisen, daß ich’s an Erkundigungen u. Versuchen nicht habe fehlen lassen. Daß diese andrerseits etwas langsam gingen, ist aus der Zerrissenheit meiner Zeit erklärlich. Nachdem ich gesehen hatte, daß Lincke nicht zu erreichen sei, wollte ich selbst mit Jettchen im Thiergarten aus dem klaren Spiegel schmutziger Pühle die Larven des Pelobates fuscus herausfischen. Sie hätten noch am letzten Tage meiner Anwesenheit die Sendung bekommen, wenn nicht die Thränen des Himmels allzureichlich für diese Bestien geflossen wären. || Kurz so reiste ich ab, ohne Krötensendung. Und wohin ich reiste, das sehen Sie aus der Ueberschrift u. das erklärt Ihnen noch mehr den Zeitmangel dera vergangenen Wochen. Ich reiste am vorigen Freitag Mittag zwar zunächst nach Greifswald, machte dort ein 200jähriges Jubelfest des Gymnasiums mit, von da über Putbus, Stralsund, Rostock (ohne Aufenthalt) nach hieher, nach Hamburg, von wo ich morgen Mittwoch früh nach Helgoland abreisen will.

Wenn ich mir so Hamburg ansehe u. dabei an einen gewissen Dr Ernst Haeckel denke, dann kann ich immer nur dem Kopf schütteln u. neige zum Japanismus. Mann! Mann! Eine Reise lohnte die Stadt allein schon. Ich versichere Sie, trotz des schlechten Wetters ist die Alstergegend wahrhaft überraschend schön. Zudem habe ich gestern einen höchst interessanten Abend verlebt bei dem auch mit Schneider bekannten Herrn Meier, der mit seinem Assistenten Dr Graefe zwar besonders die Ostseefauna von Kiel protegirt, und daher mißtrauisch auf b die Resultatlosigkeit der Greifswalder Zoologen sieht, dessen Inter||-esse, dessen Bibliothek u. dessen Sammlungen aber doch äußerst belebend auch für Helgoland vorbereiten.

Fühlen Sie mit mir, was mir 4 Wochen Helgoland sein müssen. Wenn da Kommissionen für Sie zu machen sind, so schreiben Sie mir getrost.c Ich denke, wenigstens an Gefäßen soll es nicht fehlen, da ich noch heute die nöthigen Bekanntschaften hier anknüpfen werde, die mich damit nachträglich noch versorgen können. Meier selbst geht auch fort, in die Ostsee.

Ein schöner Trost wäre es mir, wenn ich wenigstens nach meiner Rückkehr prompte Besorgung der verlangten Kröte versprechen könnte. Indessen werden Sie auch in meinen besten Willen Mißtrauen setzen, sobald Sie erfahren, daß ich zwischen Hundstags- u. Michaels-Ferien wöchentlich 36 Stunden Unterricht zu ertheilen habe. Die Schuld daran trägt Ihr Feind, der Dr Pitschner, der eine zweite Reise nach dem Mont Blanc unternimmt u. den ich während seiner Abwesenheit zu vertreten versprochen habe.

Sehr erfreut hat mich die hübsche Schilderung, die Sie von Ihrer Umgebung machen u. möchte || doch auch bald die Aussicht in die Zeit ebenso freundlich werden wie die in den Raum. Ich denke, daß ich in Rücksicht auf die Habilitation bald Ihrem Beispiel werde folgen müssen.

Nun, lieber Freund, leben Sie herzlich wohl. Versuchen d Sie, Herrn Gegenbaur wieder zu versöhnen u. mich bei ihm zu entschuldigen. Böser Wille ist’s ja nicht u. Sie werden ja auch Erfahrung darüber haben, welche Schicksale guter Wille oft durchzumachen hat.

Grüßen Sie, bitte ich, auch Ihr Fräulein Braut von mir. Ich bin jetzt auf ¼ Jahr ebenso getrennt wie Sie; denn wenn ich zurückkehre, ist Jettchen schon in Heringsdorf.

Adieu! Adieu! Schreiben Sie nach Helgoland

Ihrem

Wilhelm Zenker.

a irrtüml.: des; b gestr.: uns a; c korr. aus: ;; d gestr.: ,

Brief Metadaten

ID
12851
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Freie Hansestadt Hamburg
Datierung
02.07.1861
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 12851
Zitiervorlage
Zenker, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Hamburg; 02.07.1861; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_12851