Wilhelm Zenker an Ernst Haeckel, Berlin, 18. April 1861

Lieber Haeckel

Es hat mich wahrhaftig sehr geschmerzt, so nun Ihr Adieu ganz u. gar versäumt zu haben u. wahrscheinlich sind Sie schon die ganze letzte Zeit über mit mir unzufrieden gewesen. Es hat mir immer u. immer im Sinn gelegen, Sie aufzusuchen, ehe plötzlich der Herr Privat-Docent futsch sein würden; aber, aber – wozu sind gute Vorsätze, wenn sie nicht auch unausgeführt ihren Werth behielten? Das geschieht leider allzu oft, je mehr guter Wille, desto weniger That. Von dem ersteren sind Sie gewiß überzeugt; denn wenn mir recht ist, so hat unsere Bekanntschaft gerade auf dem gefußt. Gemeinsame d. h. zoologische Interessen haben uns wohl zusammen-geführt, soll ich indessen mehr sprechen, so hat in mir das rein persönliche Interesse für Sie immer mehr den Vorrang gewonnen und ich denke, daß dem auch umgekehrt so ist, da ich das wissenschaftliche Interesse für einen besonders durch seine enorme Ausdauer soviel versprechenden Zoologen, wie ich bin, auch nur mit bescheidenem wenn nicht gar mikrometrischem Maaßstabe messen möchte. Nun, wenn meine obige Ansicht die richtige ist, dann um so besser und dann bin ich auch der Ueberzeugung, daß wir in gelegentlichem freundschaftlichen Verkehr || bleiben können, auch sollte ich von Neuem Apostat an der Zoologie werden.

Zunächst aber lassen Sie diesen Brief, der vielleicht mit dem ersten von ihrer Fräulein Braut Reisegefährte sein kann, Ihnen nochmals viel Wünsche darbringen, daß Glück u. Segen an Ihrem neuen Wohnorte, in Ihrem neu erwählten Beruf in reichstem Maaße von Ihnen aus u. zu Ihnen hin strahlen mögen, daß die Wissenschaft, die Sie verbreiten, Sie bald erhöhen möge u. wie Sie sich das Uebrige selbst denken können, wie ein Bräutigam die Wünsche des Anderen nachfühlt. Auch zweifle ich nicht daran, daß der Erfolg Ihrer Arbeiten u. Ihres Lehrens Sie bald zufrieden stellen wird und daß man nicht nur dann an Herrn Professor wird adressiren können, sondern auch an Frau Professorin.

O! dürfte ich mich ähnlichen süßen Hoffnungen hingeben! Sie wissen ja meine Ziele und haben selbst mitgewirkt, mir sie zu eröffnen. Aber, aber! wie wenig begründete Aussicht, wie sehr Alles abhängig von persönlichen Entschließungen, bloßem Zufall etc etc! Ich will meinem Glück nichts Böses nachreden, denn es hat mir Besseres gebracht als ich verdiene; aber immer möchte ich ihm zurufen: „Wer a sagt, muß auch b sagen.“ Und wahrhaftig, a es sollte nicht bereuen, b gesagt zu haben. ||

Ich bin in den letzten Zeiten zu Wenigem gekommen. Mein Jettchen wohnte einige Wochen in Tegel zum Besuch und zog mich natürlich auch oft dahin. Dann habe ich zum 1 Mai neue andre Wohnung genommen, Oranienstraße 119 und dort erfreut mich wohl auch einmal der Briefträger mit einem Schreiben von Ihnen? Am letzten Dienstag dagegen besuchte ich die Gesellschaft naturforschender Freunde (wo Sie leider fehlten), u. außer vieler Langeweile habe ich da zu thun bekommen. Ihr Freund und steter Meinungs-Genosse Ehrenberg b bot mir Crustaceen von den Amerikanischen Sondirungen her, einstweilen von der Oberfläche des Oceans, zur Bestimmung an und ich hab’s für Mai angenommen. c Es scheinen größtentheils Copepoda, doch würden mich die oceanischen Ostracoden mehr interessiren.

Wie sind denn Ihre Flaschen angekommen? bei soviel Sorgfalt des Verpackens darf man keine Zerstörung fürchten. Vermuthlich schwelgen Sie noch im Auspacken, Aufstellen u. Durchmustern derselben, vielleicht vereint mit Ihrem Freund Gegenbaur, der wohl vermuthlich auch eined ähnliche Sammlung besitzt? Oder sind es Vorarbeiten zum Colleg oder zur Visiten, was Sie gegenwärtig in Anspruch nehmen wird? ||

Nun leben Sie mir herzlich wohl. Kann ich Ihnen Dienste hier leisten, so geschieht es gern, besonders wo es nicht die Bibliothek betrifft. Ich habe ein merkwürdiges Talent, die Karten dafür zu verlieren und möchte sie am liebsten gar nicht wieder erneuern. Damit Sie aber Zeit behalten, alle Nomina daturos zur notiren, schließe ich kurz, bitte noch, Prof. Bernhard Schultze von mir zu grüßen und verbleibe

Ihr

innigst ergebener

Wilhelm Zenker.

Berlin den 18 April 1861.

a gestr.: Niemand; eingef.: es; b gestr.: hat; c gestr.: C; d eingef.: eine

Brief Metadaten

ID
12850
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
18.04.1861
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 12850
Zitiervorlage
Zenker, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Berlin; 18.04.1861; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_12850