Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Jena, 12. März 1893

Jena, 12.3.1893

Lieber und hochverehrter Freund!

Ich wage gar nicht um Deine Verzeihung zu bitten, dass meine Antwort auf Deinen lieben Brief vom 25. II., der allerdings erst nach 5tägiger Reise (am 2. III) hier anlangte, erst heute abgeht. Ich fühlte mich die ganze Zeit mit dem Schlusse des Semesters sehr wenig wohl und erst jetzt fange ich wieder an, etwas mehr menschliche Gefühle zu bekommen. Dein Brief traf mitten in die Zeit der lieblichen Physica und wurde fast allen examinirenden Freunden mitgetheilt, allenthalben grosse Freude, aber ich fürchte auch einigen Neid erweckend. Die Physica verliefen natürlich programmmässig: die erste Abtheilung ordentlich, die zweite unter aller Kanone und darob natürlich wieder allgemeines Schütteln des Kopfes.

Am Referirabend, dessen Du so liebenswürdig gedenkst, nahm ich auch nicht || Theil; ich hörte aber, dass, obwohl die Rostbrätchen gut und gar und das Bier auch klar, doch wegen Deiner Abwesenheit ein stillerer, halb elegischer Ton dort geherrscht habe. Nun der nächste Referirabend vivat duce Haeckel! Möge ihn eine recht freundliche Maiensonne bescheinen!

Deine Schilderungen der Reise erregten allgemeines Interesse und nicht mindere Freude; besonderes Vergnügen machte uns die Mittheilung, dass Deiner lieben Frau die Reise so gut bekommen und dass Ihr gut untergebracht seid. Hoffentlich hat sich inzwischen die Möglichkeit ergeben, ein paar Treppen tiefer unterzukommen, und damit auch leichtere Gelegenheit zum promenirenden Naturgenuss. Und Deinen Sammlungen die allerherzlichsten Wünsche; möge ein glänzender Auftrieb Deine Bemühungen lohnen, uns einen selbst die Dummheit überzeugenden Sieg zu gewinnen!

Dass der Pabst sich vor Dir verkrochen, beweist mir, dass er || Deinen Monismus gelesen, und so waren nun alle die armen Gläubigen infolge Deiner Anwesenheit um den gloriosen Anblick des Unfehlbaren geprellt! Es sollte mich nicht wundern, wenn Dieser oder Jener einen Process gegen Dich um Ersetzung seiner Reisekosten anhängig machte.

Von hier ist eigentlich so gut wie nichts zu erzählen. Dass im Reichstag Freisinn und Ultramontane die schärfste Tonart gegen das neue Militärgesetz anschlagen, hast Du längst gelesen. – Im Senate gehts lustig her, infolge der von der theologischen Facultät, wie es scheint, unterstütztena Protest-Versammlungen der Studenten gegen die eventuelle Berufung eines Ritschelianers. Eucken hatte eine Besprechung dieser Angelegenheit im Senate angeregt, aber zuvor zog die ganze theologische Facultät: Siegfried, Seyerlen und Hilgenfeld (Nippold war nicht da), in feierlicher Procession aus dem Senatszimmer. Es war ein glorioser Anblick und ein er- || greifender Moment.

Von Semon ist noch kein Brief eingetroffen und auch sonst nichts angekommen. Von Herrn von Bardeleben sehe und höre ich nichts, was mich sehr glücklich macht; doch wurde mir kürzlich mitgetheilt, er habe im Offizierscasino erzählt, ich habe ihm die Betheiligung am Kaiseressen verboten! Arme unterdrückte Unschuld und Loyalität und welch grässlicher Kerl muss ich sein! Ich hoffe aber, es glaubt ihm auch dieses Märchen Niemand, denn man weiß, wie froh ich bin, wenn ich ihn einmal einen Tag von der Anatomie fern weiss.

Aber nun eine sehr, unbescheidene Bitte, die Du bitte ja ignoriren willst, wenn sie irgend welche Schwierigkeiten macht. Für Untersuchungen am Nervensystem wäre mir eine ziemlich grosse Anzahl von Amphioxus, theils in Alkohol von 80–90 %, theils in Müller’sche Lösung eingelegt, sehr erwünscht. Die ersteren möchte ich schneiden, die letzteren nach Golgi behandeln. Alle Grössen sind mir recht. Für die Behandlung nach Golgi wäre es sehr zweckmässig, wenn ich die Thiere spätestens 2–3 Wochen, nachdem sie in Müller eingelegt wurden, haben könnte. Ein viel längeres Verweilen in Müller lässt die Golgi’sche Reaction mißlingen. Wenn in Messina Menschen existiren, welche mir zu diesem Zwecke gegen Entschädigung bequemb ein paar hundert Stück (sonst weniger)c sammeln könnten, und wenn Du sie danach veranlassen könntest, mir die beiden Flaschen (nicht zu klein) in vor- || sichtiger Verpackung per Post hierher zu senden, so wäre ich Dir von Herzen dankbar. Aber nur, wenn es ohne jede Mühe für Dich ausführbar ist.

Doch nun herzliche Grüsse, beste Empfehlungen und alle guten Wünsche || für Dich und Deine liebe Frau, sowie den Herrn Filius! Möge Euch immer die schönste Sonne leuchten!

Von Haus zu Haus und von allen Freunden vor Herzen

Dein treu ergebener

M. Fürbringer.

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a korr. aus: unterstützenden; b eingef. mit Einfügungszeichen: bequem; c eingef. mit Einfügungszeichen: (sonst weniger); d Text weiter am linken Rand von S. 4: Ein viel … vor-; S. 3: sichtiges … Wünsche; S. 2: für … Briefes.

Brief Metadaten

ID
1276
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
12.03.1893
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1276
Zitiervorlage
Fürbringer, Max an Haeckel, Ernst; Jena; 12.03.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_1276