Eduard Strasburger an Ernst Haeckel, Dresden, 15. September 1871

Dresden d. 15/9 71.

Theurer Freund!

Die Sache ist nicht so einfach wie du glaubst, – deshalb hatte ich es vorgezogen, sie ihrem eigenen Schicksal zu überlassen und meinen Schwiegervater mit einer ausweichenden Antwort betraut. Trotzdem complicirt sich die Angelegenheit immer mehr, wie Du aus dem hier beigefügten Briefe meines Schwiegervater’s ersehen kannst. Es ist ein förmlicher Antrag, wie gewöhnlich in slawischen Ländern, durch eine Frau vermittelt. Was soll ich nun thun? ich habe meinem Schwiegervater noch nicht geantwortet und warte auf Deinen Rath; ich höre Seebeck soll dieser Tage || wieder in Jena sein, vielleicht macht die Sache schon, so wie sie heute steht die nöthige Wirkung. Fällt Deine Antwort nach Wunsch aus, so antworte ich sofort ablehnend und lasse es nicht zu einer ministeriellen Berufung kommen, – deren Ausschlagen mir unter den jetzigen Verhältnissen sehr viele Feinde machen würde. Wie Du weisst bin ich durch meine Familienverhältnisse an das Land gebunden, gezwungen in Folge dessen die Leute zu schonen – und dass man mir selbst unter Anverwandten ein Ausschlagen des Rufes sehr übel nehmen würde, das sehe ich aus einem Briefe meines Onkels, ja selbst meines zweiten Bruders der in der Nähe von Krakau ein Gut hat und es, wie er sich ausdrückt, für eine heilige Pflicht hält || dem Lande zu dienen in dem er geboren ist. Nun, Niemand weiss es besser wie Du, wie ich in dieser Beziehung denke; ich bin deutsch vom Grunde der Seele aus, nicht etwa um ein beschränktes nationales Prinzip zu verteidigen, sondern nach meinem inneren Denken und Trachten. Alles Gute kommt mir von Deutschland, alles geistig erhabene habe ich aus deutschen Büchern geschöpft, ich denke und handle wie Ihr, was Wunder dass ich mich so heimisch unter Euch fühle, als wäre ich in Eurer Mitte geboren. Alles drei mächtige Gründe um unter keinen Bedingungen den Ruf nach Lemberg anzunehmen, ja wenn auch alle anderen Gründe dafür sprächen – aber gerade auch eine Ursache mehr, um die Leute nicht vor den Kopf zu stossen. Ich bin nun ein Mal dort geboren und diese Leute, ungeachtet sie selber nichts für mich || gethan, glauben sich heute das Recht mich an eine Pflicht zu erinnern und werden gewiss wenn ich ausschlage ihrer hohen Entrüstung öffentlich das Wort gönnen. Die meisten in Polen denken wie diese und da doch nun von Zeit zu Zeit meine Eltern dort besuchen muss, so möchte ich die Pille verzuckern und wie gesagt es lieber nicht zur ministeriellen Berufung, vom Stadthalter von Galizien Grocholski aus, kommen lassen; die Leute machen dort aus jeder Sache eine politische Begebenheit. So steht es um die Angelegenheit, sieh nun zu was du mit derselben anfangen kannst – besseren Händen könnte ich sie nicht anvertrauen – Ja, es ist mir schon so viel glückliches durch Deine Vermittlung geschehen, dass ich mich gewöhnt habe, eine Sache deren Du Dich annimmst schon als halb gewonnen zu betrachten. – Ich bleibe hier bis etwa nächsten Freitag, ist es Dir möglich so schreibe mir hierher noch einige Worte. Am Sonnabend bin ich dann in Jena und danke Dir nur, muss dann gerade auf einige Tage nach Warschau, zur Hochzeit meines Bruders gehen.

Ich drücke Dir herzlich die Hand

Dein treuer E. Strasburger

Brief Metadaten

ID
12718
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Sachsen
Datierung
15.09.1871
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 20,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 12718
Zitiervorlage
Strasburger, Eduard an Haeckel, Ernst; Dresden; 15.09.1871; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_12718