Otto Zacharias an Ernst Haeckel, Geestemünde-Bremerhaven, 25. Dezember 1876

Geestemünde-Bremerhaven

d. 25. Dec. 1876

Geehrtester Herr Professor!

Ich setze voraus, daß Sie sich wieder wohler befinden u. das Weihnachtsfest mit den lieben Ihrigen feiern können. Dr. Engelmann sagte mir wenigstens, daß Sie nicht mehr bettlägerig seien. Ich wünsche Ihnen fürs neue Jahr einen ruhigen Schlaf u. erstarkte Nerven – denn damit kehrt doch die Gesundheit zugleich zurück. –

Ich danke Ihnen nochmals für die III. Aufl. der Anthropogenie u. bitte Sie, mich nach wie vor, von Ihren Arbeiten wissen zu lassen. Raubers Bekanntschaft habe ich neulich in Leipzig gemacht u. einen Menschen an ihm gefunden, der eine seltene Liebenswürdigkeit u. Herzensgüte besitzt. Er hat mir seine ganzen || Hühnchen-Präparate gezeigt u. sich unendliche Mühe gegeben, mir eine Anschauung von der Gastrulation beim Hühner-Ei zu verschaffen. Ich war am 11. December einen ganzen Vormittag bei ihm u. habe eine Fülle von Kenntnissen mit fortgenommen. Rauber ist ein Bayer u. es liegt etwas ungeheuer Herzliches in seiner Sprache u. seinen Umgangsformen. Mir ist es als kannte ich ihn Jahre lang.

Nun auf einige Worte über mich selbst. Ich bin nach hier verschlagen u. redigire die Nordsee-Zeitung. Das Leben gefällt mir hier unten ganz gut – aber mit dem Herzen bin ich natürlich da wo die Wissenschaft ist. Hier gibt es keine Gelehrten – bloß Rheder, Schiffsmakler u. Spediteure. Darwins u. Ihr Name ist total unbekannt u. von Zoologie ist höchstens bei einigen Capitänen ein wenig die Rede. Der Hafen ist wundervoll || u. liegt zur Zeit voll amerikanischer, spanischer u. griechischer Schiffe. 11 große Lloyddampfer stehen in einer Abtheilung für sich. Ich hoffe die hiesigen Verhältnisse literarisch auszubeuten u. habe schon den Anfang damit gemacht. Sie lesen es demnächst im „Ausland“.

Ich bitte Sie aber trotzalledem immer an mich zu denken, wenn sich einmal eine Custoden- oder Secretärstelle bei einem zoologischen Institute findet. Meine schriftstellerische Thätigkeit bringt mir 3–400 Thaler ein u. ich beanspruche daher nur 6–700 Thaler Gehalt.

Die „monistische Zeitschrift“ hat durch Ihre Krankheit Aufschub erlitten u. der Artikel, den ich meinerseits dafür bestimmt hatte, erscheint im Januar im „Ausland“. Er behandelt Darwins neuestes Werk u. giebt eine ausführliche Analyse desselben auf 11 Druckspalten. ||

Prof. Strasburger hat jetzt „Studien über das Protoplasma“ veröffentlicht, können Sie ihn nicht bestimmen, daß er mir die Broschüre zuschickt? Ich werde mich durch eine ausführliche Anzeige u. Analyse desselben in irgend einer großen Zeitung revanchiren. Das ist doch immer von Werth für einen Autor. Ich habe neulich das Werk über Zelltheilung gelesen u. besonders die Schlußbemerkungen studirt.

Mein Zeitungskram ist mir stets Nebensache u. ich bestrebe mich auch hier in der zoologischen u. entwickelungsgeschichtlichen Literatur au courant zu bleiben …… –

Zur Zeit weht ein scharfer Nordost von der See her u. meine Stube ist wegen der gefrorenen Fenster cimmerisch dunkel. Meiner Frau will das hiesige Fischer- u. Schifferleben gar nicht gefallen. Aber ihr sowohl wie meinem Söhnchen bekommt die Seeluft gut. Mir natürlich auch. Mit bestem Gruße

Ihr

Otto Zacharias

Brief Metadaten

ID
12068
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
25.12.1876
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 21,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 12068
Zitiervorlage
Zacharias, Otto an Haeckel, Ernst; Geestemünde; 25.12.1876; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_12068