Zacharias, Otto

Otto Zacharias an Ernst Haeckel, Dessau, 9. Juni 1876

Dessau, am 9. Juni 1876

Geehrtester Herr Professor!

Ich danke Ihnen für die nachträgliche Rückantwort auf mein Anfragetelegramm. Ich hätte gern einmal ein Stündchen mit Ihnen über die „Perigenesis der Plastidule“ geplaudert, damit ich genau verstehe, was Sie mit der Abhandlung, die Sie so freundlich waren mir zuzusenden, bezwecken. Ich muß offen gestehen, daß ich nach einer 6maligen Lectüre noch immer kein einheitliches Band in Ihrem Gedankengange aufgefunden habe. Ihre Abhandlung zerfällt nach meiner Ansicht in 2 ganz verschiedene Theile: nämlich in eine Theorie der Beschaffenheiten der letzten organischen Theilchen u. in eine Theorie von deren Bewegungsweisen. Mir persönlich scheint doch schon eine dieser Theorien für die Erklärung der organischen Erscheinungen zureichend. || Wenn Sie den Plastidulen „Gedächtniß“ zuschreiben u. daraus die Erblichkeit erklären, so verstehe ich nicht, weshalb nun noch eine Wellenzeugung jener Theilchen stattfinden soll, um die Uebertragung der vererbbaren Eigenschaften zu ermöglichen. Mir scheint bereits das „Gedächtniß“ zu genügen. Es ist möglich, daß ich mich in einem Gedanken ganz verlaufen habe, der falsch ist – aber ich möchte doch offen sagen, was mir in der Schrift aufgefallen ist. Der Begriff des „Gedächtnisses“ scheint mir übrigens selbst so erklärungsbedürftig zu sein, daß ich einen kleinen Widerwillen dagegen empfinde, ihn seinerseits zur Erklärung anderer ebenso dunkler Vorgänge zu verwenden. Ich war ganz erstaunt, Sie diesmal so weit in den Äther der Hÿpothesen aufsteigen zu sehen u. ich versichere Sie, daß mir noch keine Ihrer Schriften so viel Kopfzerbrechen verursacht hat als die Perigenesis der Plastidule. Sie würden mich unendlich verbinden, wenn Sie mir nur à demi-||mot sagten, wo ich etwa auf den Sand gefahren bin. Ich möchte gern im „Auslande“ eine Notiz bringen – aber ich bin noch gar nicht im Stande mit Selbstgewißheit 10 Zeilen über die Broschüre zu schreiben. –

Prof. Gustav Jäger wird in den nächsten Wochen – wie er mir sagt – eine größere Abhandlung gegen alle darwinistischen Grundbegriffe (Vererbung, Variabilität etc.) schreiben u. eine neue Auffassung – eine chemisch-physikalische – derselben zu entwickeln suchen.

In neuester Zeit bin ich auch in Correspondenz mit Henrÿ Huth, dem Verfasser der marriage of NearKin getreten. Er ist ein junger Gelehrter, dem es darum zu thun ist, einen Menschen auf dem Continent zu haben, der ihn au courant in litteris erhält. Diese Stelle werde ich ihm gegenüber einnehmen. Natürlich verlange ich insofern Gegenleistung, als er mir darwinistische Abhandlungen aus England senden muß. ||

Huth würde auch sofort an der projecirten Darwinia arbeiten.

Darwins „The results of cross“ etc. wird Ende October die Presse verlassen. Ich werde von ihm ein Exemplar erhalten zur Besprechung in der Illustrierten Zeitung.

…… Das „Athenäum“ soll sehr schlecht gehen u. Costenoble soll alle Angst vor dem Zeitschriftenverlag bekommen haben – am Ende scheitert die „Darwinia“ doch abermals. Wie’s auch kommen mag; den Gedanken selbst gebe ich nicht auf.

Hochachtungsvoll grüßend

Ihr Otto Zacharias

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.06.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11886
ID
11886