Görlitz 27. Dec. 75
Geehrter Herr Professor!
Soeben erhielt ich Sempers neuestes Opus: „Der Häckelismus in der Zoologie“ betitelt. Ich habe den Wisch gelesen u. bin erstaunt: wie man auf diese Weise gegen einen Collegen u. einen namhaften Mitarbeiter auf dem gleichen Felde der Forschung losziehen kann.
Der logischen u. stÿlistischen Schnitzer in der Broschüre sind so viele, daß ich – als Nicht-Zoologe – mich versucht fühle, eine Gegenbroschüre zu schreiben.
Ich habe eben an Hellwald geschrieben. Nimmt der den Artikel ins „Ausland“ auf, so unterlasse || ich die Herausgabe eines speciellen Sendschreibens; nimmt er den Artikel aber nicht: so mache ich mich sicher an die Protest-Broschüre.
Semper ist viel schlimmer als Michelis. Jeder Zell an dem Würzburger Professor athmet die Arroganz des Neapolitanischen Aquarium-Dirigenten u. zur gleicher Zeit aber auch die wissenschaftliche Unklarheit dieses letzteren.
Sie würden mir einen großen Gefallen thun, Herr Professor, wenn Sie mir ganz in Nuce Sempers Laufbahn skizziren wollten.
Als unwissender Laie weiß ich von Semper nur, daß er früher auf den Philippinen herumgeforscht hat, u. dann als Kritiker das Darwinismus aufgetreten || ist. Daß seine wissenschaftliche Ueberzeugung darin gipfelt, daß die Vorläufer der Wirbelthiere die Anneliden seien, weiß ich auch. Aber sonst kenne ich den in Rede stehenden Herrn nicht. Ich werde mich in meinem Artikel nur an das Logische u. Stÿlistische halten u. zu zeigen suchen, daß ein „Professor“ durchaus kein „Logiker“, geschweige denn ein „Stÿlist“ zu sein braucht. Gewöhnlich glaubt man ja leider an die Kraft der Titulation.
Prof. Jäger schreibt mir heute, daß er in 3–4 Wochen eine „Theorie der Vererbung u. Anpassung“ veröffentlichen wird. Vielleicht hat diese Nachricht für Sie einiges Interesse.
Ergebenst grüßend
Otto Zacharias