Otto Zacharias an Ernst Haeckel, Gera, 10. Juni 1874

Gera am 10. Juni 74.

Hochverehrter Herr Professor! –

Die bewußte biographische Skizze wird innerhalb der nächsten 14 Tage in der Illustrirten Zeitung erscheinen. Der Holzschnitt ist bereits fertig.

Für die beiden Photographien u. für die Schrift von Léon Dumont sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank.

Ich weiß nicht, ob Sie bereits wissen, daß Sie in den letzten Tagen paarmal angegriffen worden sind. Einmal in der Nationalzeitung von einem gewissen Sigismund; dann aber auch in der Kölnischen (No 157) von einem, der unter der Chiffre NP schreibt. NP wirft Ihnen „Halbwissen und Mangel an philos. Geiste“ vor und stellt in seinem nächsten Artikel eine „ausführliche Analyse Ihrer natürl. Schöpfungsgeschichte“ in Aussicht. ||

Früher schrieb Ratzel unter diesem NP Zeichen, aber der ist jetzt in Nordamerika u. wird also wohl kaum der Autor des Artikels sein. Ueberdies hat er sich in den Wandertagen eines Naturforschers über Ihre Bestrebungen ganz anders ausgesprochen. Aber möglich ist Alles. Claus’ Kritik der Gasträatheorie habe ich nun auch gelesen. Aber ich bin, wie ich gern gestehe, noch lange nicht damit fertig, weil ich mir die Bekanntschaft mit dem zoologischen u. vergleichendem anatomischen Detail erst nach u. nach verschaffen kann. Soviel sah ich indessen, daß Claus ein ganz anderer Kritiker ist, als das Gros Ihrer Fachgenossen, deren Nörgelein lediglich vom Neide u. der Mißgunst herrühren.

Die Art u. Weise wie Claus Ihre Ansicht von der Entstehung des radiären und bilateralen Typus kritisirt, hat in der That etwas Packendes u. Ueberzeugendes für mich u. ich habe ein großes Verlangen eines Tages zu lesen oder zu hören, wie Sie ihn || durch Ausführung neuer Argumente ins Enge treiben werden.

Seine Ausführung über den Coelentroismus, betreffs dessen er ganz die Wege Leuckarts einschlägt – haben mich weniger überzeugt. Diese Frage scheint mir doch eine der zartesten und schwierigsten der vergl. Anatomie zu sein.

Ich werde nur noch bis zum 1. Juli hier in Gera sein. Der Verleger des Liegnitzer Stadtblattes (6000 Abonnenten) hat mich mit 1300 rℓ. engagirt u. ich leiste im pecuniären Interesse diesem Anerbieten Folge. Auf diese Weise lerne ich einmal Schlesien kennen u. genüge auch nebenbei meinem Wandertriebe. Eigentlich will man mich gar nicht ziehen lassen – aber ich gehe doch.

In der Hoffnung früher oder später etwas direkt von Ihnen zu vernehmen, verbleibe ich,

hochverehrter Herr Professor, mit ergebenstem Gruße

Ihr Dr. Otto Zacharias

Brief Metadaten

ID
11865
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
10.06.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 21,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11865
Zitiervorlage
Zacharias, Otto an Haeckel, Ernst; Gera; 10.06.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_11865