Nürnberg 23.3.15
Welserstr. 33II
Hochgeehrter Herr Professor!
Den Empfang der Wandsprüche bestätigend, drängt es mich, zugleich meinen Dank zu sagen für die gütige Abnahme eines solchen.
Das Honorar gab ein Paar Schuhe für den 8jährigen, der Rest ward für den ¾ jährigen verwendet.
Wir besitzen Ihr Bild, aus einer Zeitschrift entnommen. Dieses, Ihr Bild sagt mir, daß Sie Versteh’n haben auch für die kleinen Mühsale des Lebens.
Dieses Bild haben wir in Ihr Buch „Die Welträtsel“ eingeklebt, es ist uns so wertvoll geworden. Grade jetzt, in dieser Zeit gibt mir dieses Buch oft die Ruhe || wieder u. das Vertrauen zu mir selber. Ich bin oft elend und empfinde direkt seelische Schmerzen über die momentane Zeit, in der eine einzige Phrase die Welt durchzittert.
Dann frage ich mich oft, soll es denn möglich sein, daß die Gehirntätigkeit eines einzigen Menschen imstande ist das Ergebniß derselben auf Millionen Menschen zu übertragen?
Daß die Menschheit um Jahrhunderte zurück geschleudert werden konnte in eine Zeit, die jeder denkende Mensch überwunden zu haben glaubte?
Wie lange wird die Menschheit diesen Gottbegriff beibehalten, soll unser Leben nichts sein als ein immerwährendes Rückwärtsirren?
Gegenüber solchen Gedanken u. Schlußfolgerungen konnte ich nur einen Ausgleich finden || in Goethe. Seine Worte versöhnen u. sind mir Religion. Es ist die einzige die nie trügt, die alles heilt, die keine Unterschiede kennt. Sie bildet den lichten Schlußpunkt eines jeden Leben mag der Mensch noch so sehr mit sich u. der Welt zerfallen gewesen sein.
„Nach ewigen, ehernen
Großen Gesetzen
Müssen wir Alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.“
Fünf kurze Zeilen, sie machen alles hinfällig was der Mensch als Wichtigkeit lehrt, hinstellt, verurteilt, diese fünf Zeilen machen mich sogar wanken an der großen Zeit, die zur Zeit sein soll.
Bitte verzeihen Sie mir daß ich so zu Ihnen schreibe. Mit dem Ausdruck der höchsten Verehrung für Sie begrüße ich Sie u. danke nochmals! Ihrer ergebene
Maria Grimme.