Kutschera, Max

Max Kutschera an Ernst Haeckel, Yokohama, 10. Februar 1900

Yokohama, am 10. Februar 1900

Hochverehrter Herr Professor!

Die durch die Erfahrungen und die Dankbarkeit eines Menschenalters erlangte Überzeugung eines Mannes der Wissenschaft erheben denselben über das Urtheil der Menge und berechtigen ihn, anerkennende sowie ungünstige Beurtheilungen seiner Leistungen mit demselben Gleichmuthe hinzunehmen.

Wenn ich, ein vollkommener Laie, es dennoch unternehme nach eingehendem Studium Ihres epochalen Werkes: „Die Welträthsel“ Ihnen meine Bewunderung auszudrücken, so bin ich mir wohl bewußt, hiebei die Rolle des Hahnes zu || spielen, der die aufgehende Sonne ankräht, die sich dadurch weder geschmeichelt noch veranlaßt fühlt, deshalb ihren Lauf zu beschleunigen.

Schon vor nahezu dreißig Jahren hatte ich das Glück einem Ihrer Vorträge über die niederen Organismen des Meeres beiwohnen zu können und gehören diese eindrucksvollen Erörterungen zu den werthvollsten Erinnerungen meines Lebens. Jetzt nach der Lectüre Ihres letzten Werkes fühle ich mich gedrängt, Ihnen meinen Dank zu sagen für den Genuß, den die darin entwickelten Ideen mir verursachten und es auszudrücken, wie sehr ich den Muth zu schätzen weiß, der dazu gehört, seine Meinung auszusprechen, auch wenn diese den althergebrachten, landläufigen Anschauungen widerspricht. – ||

Diese meine Anerkennung und mein Dank sind Ihnen wohl gleichgültig, ich bin daher überzeugt, daß auch das Folgende, indem es eine leichte Abweichung meiner Anschauungen zum Ausdrucke bringt, eine objective Beurteilung erfährt. –

Im zwölften Artikel: „Das Substanz-Gesetz“ sprechen Sie, hochverehrter Herr Professor, von der piknotischen Substanztheorie, welche die Existenz des Aethers voraussetzt und, genau genommen, zwei verschiedene Substanzbestandtheile schafft, von denen der Eine, eben der Aether, andere Eigenschaften haben und daher nicht ganz den allgemeinen Substanzgesetzen unterworfen sein soll.

Als Laie und außerdem durch die große Entfernung von den Quellen modernen Wissens getrennt, das mir daher nur selten und nur in einzelnen Werken zugänglich ist, fehlen mir die Behelfe, um meine Anschauung dieser Theorie anzupassen und scheint es mir fast ein Widerspruch der monistischen Theorie, die Materie in zwei verschiedene Substanzen getrennt mir vorstellen zu sollen. Schöner und mit dieser Theorie mehr im Einklang schiene es mir, nur eine, durchaus einheitliche Substanz annehmen und des immerhin mysteriösen (weil nicht nachweisbaren) Aethers gänzlich enthalten zu können.

Schon vor vielen Jahren, als mir zum ersten Male die Aethertheorie bekannt wurde, konnte ich mich mit derselben nicht || befreunden und finde ich nun unter meinen Papieren verschiedene darauf Bezug habende Notizen aus dem Jahre 1875, aus denen mir gestattet sei, Folgendes in Schlagworten anzuführen:

Als Beweise für die Existenz des Lichtaethers werden angenommen:

1. Licht ist eine Wellenschwingung und bedarf daher eines Mediums zur Fortpflanzung.

2. Die Luft kann dies nicht sein, da unsere Atmosphäre nur den Erdkörper umgibt und daher im Raume nicht vorhanden ist.

3. Beweis hiefür, daß bei Sternbedeckungen durch den Mond keine Wellenbewegung beobachtet wird, was der Fall sein müßte, wenn Luft im Raume vorhanden wäre, die durch die Anziehungs-||kraft des Mondes um diesen verdichtet sein so dessen Atmosphäre bilden müßte.

4. Die Luft pflanzt den Schall fort, kann daher nicht gleichzeitig Träger der Lichtschwingungen sein.

5. Es muß daher ein besonderes Medium, der Lichtäther, vorhanden sein, das den ganzen Raum erfüllt, unmeß- und unwägbar ist, dem allgemeinen Attractionsgesetz nicht unterliegt und auch die Moleküle der durchsichtigen (nicht leitenden) Körper umgibt, welche dadurch lichtleitend werden.

ad 1: richtig

ad 2. Die Grenze der Erdatmosphäre befindet sich dort, wo sich in Bezug auf das einzelne Lufttheilchen die Anziehungskraft der Erde und die durch die Rotation hervorgerufene Centri-||fugalkraft das Gleichgewicht halten. Theilchen, die sich außerhalb dieser Grenze befinden, werden zwar noch immer von der Erde angezogen, können sich aber nicht nähern, weil sie durch die Centrifugalkraft weggeschleudert würden. Außerhalb dieser Grenze ist daher ein Vorhandensein von Luft noch immer denkbar, nur gehört sie nicht mehr zu unserer Atmosphäre, da sie von der Erde in ihrem Laufe nicht mehr mitgenommen wird. – Jedenfalls ist diese Luft äußerst verdünnt, jaa so verdünnt, daß sie alle dem Aether zugesprochenen Eigenschaften besitzen kann; nur in der Nähe der Gestirne d.h. um diese herum, ist sie deren Anziehungskraft entsprechend verdichtet, bildet deren Atmosphäre und hat von || ihnen gewisse Stoffe aufgenommen, wie von der Erde bereits Wasserdampf und Kohlensäure.

ad 3. Auch der Mond muß demnach eine Atmosphäre verdichteter Luft haben, doch können wir deshalb keine Wellenbrechung bei Sternbedeckung wahrnehmen, weil wir entsprechend der nur 1/6 der Anziehungskraft der Erde betragen Attraction des Mondes, dessen Atmosphäre auch sechsmal dünner sein muß, als jene der Erde, mithin die Strahlenbrechung durch dieselbe so unbedeutend ist, daß wir sie mit unseren Instrumenten nicht wahrnehmen können.

ad 4. Die Luft pflanzt nicht nur den Schall, sondern auch Wärme, Elektrizität u. s. w. fort, warum soll sie gerade beim Lichte eine Ausnahme machen? || Daß unsere Atmosphäre als Träger der Lichtstrahlen anzusehen ist, beweist auch die Refraction. In jedem Lehrbuche der Astronomie lesen wir, daß der vom Gestirne kommende Strahl, indem er von dünneren in dichtere Luftschichten übergeht, zum Einfallslothe gebrochen wird, weshalb uns das Gestirn stets näher beim Zenithe erscheint, als es sich wirklich befindet; ferner daß die Refraction von am größten sei in der Höhe des Horizontes, weil dann der Strahl eine größere Luftschicht durchlaufen müsse und wissen wir endlich auch, daß die Größe der Refraction von der Dichte der Luft abhängig ist, da ja Barometerstand und Temperatur, sowie Feuchtigkeitsgehalt zur Berechnung des Größenwerthes der Refraction dienen. – ||

In diesem Falle wird also die atmosphärische Luft als Träger des Lichtes angesehen und ist die Annahme eines besonderen Mediums nicht nothwendig.

ad 5. Die Annahme eines nicht nachweisbaren, dem Grundgesetze der Attraction, dem die Substanz unterworfen ist, nicht unterliegenden Stoffes, ist auch nicht nothwendig, soweit andere lichtleitende Körper in Betracht kommen. Die chemischen Wirkungen des Lichts z. B. auf der photographischen Platte beweisenb, daß dasselbe auch in Körper eindringt, die undurchsichtig sind, mithin keinen Äther enthalten. Einfacher oder zum Mindesten leichter verständlich ist wohl die Annahme, daß alle lichtleitenden, also durchsichtigen Körper eine solche Molekularbeschaffenheit besitzen, die |den Wellenschwingungen des Lichtes keinen Widerstand entgegenstellt und sie fortpflanzt, wie die undurchsichtigen diese Eigenschaft nicht besitzen. – Ein Stück Eisen hat ein bestimmtes Gewicht, ist vielleicht auch magnetisch oder es gehen electrische Ströme durch dasselbe, hat die Temperatur der Luft angenommen u. s. w. Seine Moleküle machen daher die Schwingungen dieser einzelnen Energien mit. – Wird es nun genügend erwärmt, so wird dieses Eisen glühend und strahlt Licht aus. – Wie kommt nun plötzlich durch bloße Änderung der Wellenschwingungen der Wärme, der Lichtäther hinein, der früher nicht darinnen war?

Ich sehe daher keinen Grund an die durch Nichts bewiesene Existenz des Lichtäthers || zu glauben.

_____________

Es ist in diesen über ein Vierteljahrhundert alten Aufzeichnungen freilich nur immer vom Lichtäther als Medium der Schwingungen des Lichtes die Rede, doch so wie er für diesen Fall als unendlich verdünnte Luft angesehen werden kann, beziehungsweise eine solche alle Eigenschaften besitzt, welche die Hypothese dem Aether zuschreibt, so ist wohl der Schluß nicht allzu kühn, wenn man den Aether überhaupt für verdünnte Materie ansieht. –

Die auf Seite 264 und 265 angeführten beiden Gruppen der Materie würden dann in eine zusammenfallen und nur verschiedene Aggregat-Zustände ein und derselben Substanz darstellen. –

Aether wäre dann nur verdünnte Masse und diese verdichteter Aether. – Die auf Seite 262 und 260 angegebenen Eigenschaften des Aethers können ja auch der sehr verdünnten Materie zugesprochen werden, so daß die Annahme einer einheitlichen Substanz, welche der monistischen Theorie so vollkommen entspricht, durchaus keine Lücke aufweist.

Ferne sei es von mir, hochverehrter Herr Professor, Ihre Anschauungen berichtigen zu wollen, ich dachte mir lediglich, daß es für Sie vielleicht von Interesse sein könne, auch die Auf-||fassung eines Laien kennen zu lernen, der stets bestrebt war nur das für wahr zu halten, was er zu begreifen im Stande ist und alles Unbegreifliche als Mythe anzusehen. – Daß bei der Beschränktheit unseres Auffassungsvermögens große Irrthümer entstehen können, ja müssen, ist begreiflich und werden Sie, wie ich fürchte, diese Zeilen als einen erneuten Beweis hiefür ansehen. –

Habe ich nun Ihre Zeit so lange in Anspruch genommen, so muß ich hiefür um Entschuldigung bitten und bleibt mir zum Schlusse nur || noch, Ihnen zu danken für den Genuß und die Belehrung, die ich aus Ihrem Werke schöpfte, das die hohe Idee einer reinen, von jedem Aberglauben befreiten Weltanschauung so überzeugend zum Ausdrucke bringt. –

Genehmigen hochverehrter Herr Professor den Ausdruck meiner aufrichtigen Verehrung.

Max Kutschera

Yokohama

7b Klaff

a eingef.: ja; eingef.: beweisen,

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.02.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10830
ID
10830