Theodor Novak an Ernst Haeckel, Prag, 14. April 1901

Prag, den 14. April 1901.

Hochverehrter Herr Professor,

der junge Autor, welcher seine Studie über Ihre monistische Biologie und Philosophie Ihnen zuzueignen sich erlaubt, ist ein Philosophie-Hörer an der böhmischen Universität von Prag. Schon in der Jugend der Naturgeschichte mit Eifer ergeben, wandte ich mich als Gymnasiast den Darwinschen Lehren völlig zu, und wählte das botanische Studium und Forschen zu meinem Lebensberuf. Offiziell ein Studierender der beschreibenden Naturwissenschaften und Chemie, war ich nie fern dem philosophischen Nachdenken, und sah immer in der Naturwissenschaft || nicht nur eine vollständige Beschreibung der einzelnen anorganischen und organischen Arten, sondern vielmehr die Lehre vom Sinne des Lebens und der Welt. Der Name Haeckel erweckte in mir die tiefste Ehrfurcht, denn er gehörte einem Manne, welcher mit zoologischer Exaktheit hohe philosophische Ziele zu verbinden wusste. Als Ihr letztes populäres Werk bald nach seinem Erscheinen auch in den gelehrten und gebildeten Kreisen unseren Volkes reges Interesse erweckt hatte, versuchte ich ihr ganzes Lebenswerk vor unserer Öffentlichkeit darzustellen, und hielt also zwei Vorträge in wissenschaftlichen Vereinen Prags; der eine, kürzere, im „Prirodovedecky Klub“ (naturwissenschaftlicher Verein), || betonte hauptsächlich die Erfolge ihrer biologischen Forschung, der andere, in der „Filozoficka Jednota“ (philosophische Vereinigung) gehalten, stellte ausführlicher die philosophische Bedeutung der monistischen Weltanschauung auf naturwissenschaftlicher Grundlage dar. Als ich Ihr Wirken in den beiden Richtungen in einem längeren Aufsatz zu schildern und zu beleuchten anfing, welcher in „Rozhledy“ (Rundschau)a, einer der gelesensten tschechischen Revues, erschien, glaubte ich, dass ich besonders an die „Generelle Morphologie“ als die Urquelle und den begründenden Codex Ihrer biologischen und philosophischen Grundsätze, zurückgehen muss; das bei uns wenig bekannte Buch || erscheint mir jetzt als ein Grundpfeiler der späteren zoologischen Anschauungen und Theorien in Deutschland. – Obzwar zwar kein Zoolog von Fach, glaubte ich doch in jenen allgemeinen Fragen, welche ihre Werke beantworten, mein selbstständiges Urtheil haben zu können. Und, ich weigere nicht zu gestehen, dass Sie mir keinen treuen Schüler finden, der an des Meisters Worten keinen Buchstaben zu ändern wagt. Im Gegensatz zu den meisten meinen Lehrern bin ich ein Anhänger der Energetik und des Vitalismus. Keine opportunistischen Gründe, keine vorgefasste Meinungen haben mich zu letzterer Anschauung geführt; das Streben, die || ganze Natur im einzigen Sinne zu beobachten, als Eintreten einer überweltlichen Kraft überflüssig zu machen, und in dem Leben einen autonomen Process zu sehen, ist die Quelle meines Vitalismus. Dabei bin ich ein Feind der Teleologie und des Dualismus, und versuche den Ausgangspunkt der biologischen Vorstellungen an die Überzeugung zu knüpfen, welche Sie schon längst in dem Satze ausgedrückt haben: „Nach unserer Ansicht liegt die falsche Auffassung, welche man diesem Einflusse gewöhnlich hat angedeihen lassen, vorzüglich darin, dass man den Organismus dabei als ein ganz oder doch grösstentheils passives Wesen aufgefasst hat, während doch in der That derselbe sich allen Einflüssen gegen-||über zugleich activ verhält.“ – Das Leben, scheint mir, kann nur aus sich selbst, und nicht aus der todten Materie begriffen werden. Und darin, dass Sie von den Lebensformen so viel Neues gesehen und gesagt haben, erblicke ich die kostbarste Frucht Ihrer Lebensarbeit.

Sie werden gewiss dem jungen Manne verzeihen, wenn er auch in denjenigen Lehren, welche er bewundert, nur ein vorläufiges Gerüst künftiger Arbeit sieht; er ist so innig Evolutionist geworden, dass er in dem Hohen immer das Höhere sehen muss.

In Ihre Gunst empfiehlt sich

der ehrfurchtsvoll ergebende

Theodor Novak.

a eingef.: (Rundschau)

Brief Metadaten

ID
10824
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Tschechien
Datierung
14.04.1901
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10824
Zitiervorlage
Novak, Theodor an Haeckel, Ernst; Prag; 14.04.1901; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_10824