Heldburg, Helene Freifrau von

Helene Freifrau von Heldburg an Ernst Haeckel, Cap Martin, 14. Februar 1913

Cap Martin Hotel 14.2.13.

Hoechst und von Herzen Verehrter!

Ihr Geburtstag! An dem so viele Tausende seit so langen Jahren freudig glueckwuenschend Ihrer gedenken, Ihnen huldigend nahen dürften, und an dem sich nun ein tiefes || mitfuehlendes Leiden in die Glueck- und Segenswuensche mischt! Sie treten in Ihr achtzigstes Lebensjahr und wenn Sie nicht das entsetzlich Schwere getroffen haette, wie leicht und muthig würden Sie den Tag begruessen! Ihre wundervolle Natur, Ihr herrlicher || Kaempfer Geist hätte die Beschwerden, die ja leider doch unzertrennlich mit dem Altwerden verbunden sind, auf sich genommen und sie schuettelten die weißen Locken jedem Widersacher mit dem sieghaften: Quos Ego entgegen. Und nun unser deutscher || Winter, der Sie, dena Sonnenfreudigen verhindert, sich an der frischen Luft zu erholen! Ach, Bordighera! Wenn man Sie nur hinzaubern koennte! Denn auf dem realen Wege wird es wohl nicht mehr durchzusetzen sein! – Aber ich will nicht nur um sie klagen, ich || will versuchen fuer Sie, und mit Ihnen zu hoffen. „Summer is coming, I know it, I know it“ – das moechte ich Ihnen mit Tennyson’s lieben Toenen in die Seele klingen lassen. Und dieser Sommer wird doch ein guter, mildsonniger werden und Sie werden hinauskoennen – hinaus || nicht nur aus Ihrer Maertyrerstube, nein, auch einmal wieder hinaus aus der Jena-er Luft, die vielleicht zu milde ist um kraeftigender auf Sie einzuwirken. Wie mag sich auch Ihre treue Lebens- Ruhmes- und, ach, nun auch Leidensgenossin, Ihre theure Frau Gemahlin danach sehnen, Sie reisen || zu sehen, wenn es ihr wirklich nicht moeglich sein sollte, Sie zu begleiten! – Auch fuer uns war der vorige Sommer kein guter: Er brachte uns die lange schwere Krankheit des Herzogs, die bei dem nichtendenden Regen sich garnicht bessern wollte, und dann im Herbste im kleinen Jagdhaus in || den Vorbergen der Rhoen eine zweite, zum Glueck leichtere Auflage des Catarrhs. Dann gingen wir in den ersten Dezembertagen zum Winteraufenthalte nach Meiningen, und kaum ein paar Tage dort packte mich die Influenza so arg, dass ich in den dort folgenden 8 Wochen auch nicht einmal hinauskonnte und volle || 3 Wochen vom Herzog ganz abgesperrt war. Und nun sind wir schon 12 Tage hier und ich quaele mich noch mit den Resten der perfiden Krankheit ab. Dem Herzog geht es ja verhaeltnissmaessig gut, aber bei seinen nun fast 87 Jahren kann ich wenigstens keinen sorgenfreien Tag mehr haben? Wir reden || oft von Ihnen, Verehrter, und denken: Ach, wenn wir Sie nur, und sei es im Rollstuhl, hinaus in die waermende Sonne fahren sehen koennten! Resigniren, resigniren! Aber nicht mehr als noethig? Und auf ein Wiedersehen im Sommer wagen wir trotz Allem doch zu hoffen! – Ich habe jetzt wieder zwei || Tage auf der Nase gelegen und darum werden meine Blumen und das Koerbchen Mandarinen, das Sie mit der Frau Geheimerath theilen sollen, wohl leider erst post festum eintreffen. Hoffentlich trifft wenigstens dieser anmeldende Brief rechtzeitig ein. Ich lege eine Post-||karte ein, die nach der letzten Zeichnung photographirt ist, die Prinz Ernst diesen Winter von seinem Vater machte. Ich weiß, sie interessirt Sie! – Ich muesste eigentlich für die Laenge dieses Briefes bei der Gelegenheit um Verzeihung bitten, statt dessen bitte ich nur, aber desto dringender, um || völliges Ignoriren desselben – es sei denn, dass Frl. Holgers mir die Liebe anthun wollte, mir auf einer Postkarte zu sagen, wie es Ihnen und der Frau Excellenz jetzt gerade geht und dass Sie freudig zustimmend mit mir rufen: Auf Wiedersehen! || Indessen gruesst Sie, Verehrter, von ganzem Herzen Ihre treue, fuer Alles was Sie ihrem Geistesleben gaben, dankbare

Heldburg.

a korr. aus: denn

 

Briefdaten

Empfänger
Datierung
14.02.1913
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10383
ID
10383