Sachsen-Meiningen, Georg II., Herzog von

Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen an Ernst Haeckel, Cap Martin, 30. März 1906

Cap Martin Hotel | 30.3.06

Lieber Häckel!

Ueber Ihre lieben Zeilen vom 28. des Monatʼs habe ich mich sehr gefreut und danke ich Ihnen herzlichst für Ihre guten Wünsche zu meinem alten Geburtstage. Es hat einmal Einer, der 80 Jahre alt wurde, gesagt, er sei froh, aus den 70er Jahren heraus zu sein, diese seien nicht Fisch nicht Fleisch – jetzt erst habe man das Recht, sich als einen alten Mann ansehen u. behandeln zu lassen. Etwas Wahres steckt in dieser Aeußerung insofern bei mir wenigstens als ich in den 70er Jahren so viel Kraft-||gefühl noch hatte, daß sich mir der Gedanke, das Ende sei nahe, noch nicht aufdrängte. Nahe an dem 80sten Jahre wird das anders und mit Vollendung der 80a Jahre wird man zum Mummelgreis.

Stolz bin ich, Sie als Meininger Staatsbürger begrüßen zu können, lieber Häckel. Möchten Sie an Ihrem so schönen Besitze im Meininger Lande noch viele Freude haben und die Meininger Grundsteuer sich nicht an Sie heranwagen. Von denen, die Ihnen das schöne Stückchen Erde schenkten, war es eine wunderhübsche Idee, welche Ihnen gewiß viel Vergnügen gemacht hat.

Nun wird das Universitätsstatut der Universität Seitenʼs des Weimarʼschen Mi-||nisteriumʼs wohl bald zur Aussprache über dasselbe vorgelegt werden. Ich hoffe noch vor Thorschluß ein paar Aenderungen zur Annahme gebracht zu haben, welche den Einfluß des Curatorʼs mäßigen sollen. Wie sich Coburg Gotha und Altenburg dazu stellen, weiß ich noch nicht, da die Conferenz, welche darob entscheiden soll, noch nicht stattgefunden zu haben scheint. Weimar war auffallend nachgebend meinen Bemerkungen gegenüber. Hoffentlich wird bei dieser Gelegenheit auch die unwürdige Einrichtung fallen, daß die antretenden Professoren der Bibliothek ein Werk im Werthe von 12 M schenken müssen. Diese Bestimmung datirt aus einer recht pauveren Zeit b und war, meines Erachten’s, von Anfang an unpassend.

Hier lebtʼs sich wie alljährlich u. hat die Physiognomie Cap Martinʼs keine || bemerkenswerthe Aenderung erfahren es sei denn, daß das Hotel von Gendarmen und von 6 hier stationirten Detectivs umwimmelt wird, welchen ein höherer Polizeibeamter vorsteht. Es geschieht das zu Ehren der hier wohnenden schwedischen Majestäten, welche sonst aber sich sehr still verhalten und Niemanden stören. Der König denkt noch sehr bitter über die Abtrennung Norwegenʼs und äußerte mir gegenüber heftig: „Die Norweger sind ein schlechtes Volk; ich kenne sie!“ Das ist ein Ausspruch, der gewiß unrichtig ist, aber zeigt, wie arg verletzt der König durch die Revolution ist.

Meine bessere Hälfte sendet Ihnen und den Ihrigen herzliche Grüße, denen sich anschließt, lieber Häckel, Ihr

Ihnen herzlich ergebener

Georg

a korr. aus: 85; b gestr.: her

 

Briefdaten

Empfänger
Datierung
30.03.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10275
ID
10275