Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen an Ernst Haeckel, Ajaccio, 8. April 1902
Ajaccio, 8.4.1902.
Lieber Häckel!
Empfangen Sie herzlichsten Dank, sich meines alten Wiegenfestes erinnert zu haben und auch Dank dafür, der Veranlasser unseres hiesigen Aufenthaltes zu sein. Eine angenehmere Luft als die hiesige kann man gewiß nicht finden, dazu die wunderschöne Gegend und die üppige Vegetation sowie ein ganz vortreffliches Wirthshaus – was kann man mehr wünschen?! Nichts fehlte, würde die Ueberfahrt fehlen, || diese aber ist für Personen, die an Seekrankheit leiden, eine recht böse Zugabe. Wir fuhren in 17 Stunden von Marseille herüber und hatten bei klarstem Wetter starken Mistral, der Nachts sich in heftigeren Nordwind umsetzte, so daß die Schaukelei miserabel war – nicht für mich, der ich überhaupt nicht seekrank werde – aber für meine Frau, wiewohl sie die auf Deck befindliche Cabine des Capitäns inne hatte und wiewohl das Schiff 3000 Tonnen hielt. Sie erkrankte in beängstigender Weise und erholte sich etliche Tage nicht von ihren Leiden. Jetzt, || wo unserer Abreise naht – am 16ten sollʼs nach Vizarona am 17ten nach Bastia und 18ten nach Livorno gehen – steht die erneute Wasserfahrt wie ein Gespenst vor uns und das umsomehr, als meine Frau trotz der ihr so ungemein zusagenden Luft eigentlich ausgesetzt leidend war und gerade heute ganz extra, da ihr ein sonst harmloses Schlafmittel grenzenlos schlecht bekommen ist. Sie werden sich wundern, daß ich trotz allʼ dem Ihnen dankte, uns Corsika so warm empfohlen zu haben. Wir sind aber trotz Allem wirklich von hier entzückt und dachte zeither trotz Seekrankheit meine Frau mit Vor-||liebe an Wiederholung unseres Aufenthaltʼs hier. Partien haben wir recht wenige gemacht und die nach dem Schloß von Pozzo di Borgo, die täglich drankommen sollte, auch noch nicht. Wären Sie gekommen, hätten Sie uns aus unserer Partiefaulheit wahrscheinlich aufgerüttelt resp. mich aus meiner; denn ich bin eigentlich der Paxator. –
Hoffentlich hat die Zeichnung der neuen Blätter zu den Kunstformen der Natur Sie nicht zu sehr angegriffen, so daß Sie von den Ferien doch etwas für Ihre Gesundheit haben konnten.
Meine Frau und ich senden herzlichste Grüße Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin und ich verbleibe, lieber Häckel,
Ihr Ihnen treu ergebener
Georg