Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 9. März 1899
Heidelberg, 9 März 1899
Liebster Freund!
Empfange vor allem meinen herzlichen Dank für das überaus schöne Werk, welches mir zukam, und eine ebenso glückliche Idee verwirklicht, als es in prächtiger Ausführung sich darstellt. Ich habe es meiner Tochter übergeben, welche sich sehr darüber und daran erfreut hat; wenn ihr auch manche der Formen aus Deinen Werken nicht ganz unbekannt waren. Ich halte Dein Unternehmen auch für sehr zeitgemäß, und gratulire Dir dazu!
Daß das Befinden Deiner lieben Frau sich so gut gebessert hat, vernahm ich mit aufrichtiger Theilnahme. Ich wollte, auch von meiner Frau das gleiche sagen zu dürfen, wenn auch gegen die Vorjahre || einiges besser geworden ist.
Auf Deine Frage nach meinen Reiseabsichten, kann ich Dir nur mittheilen, daß mein immer fühlbarer werdendes Alter mich zu Hause am Wohlsten fühlen läßt. Kommt mir je einmal ein verwegener Gedanke an den Süden, so wird er alsbald durch vielerlei Erwägungen zerstreut, unter denen auch das überaus Wechselvolle des Jahres eine Rolle spielt. Vielleicht gehe ich im Falle eines warmen Frühlings gegen Ende der Ferien noch auf kurze Zeit nach Baden. Vielleicht auch nicht!
Am meisten hinderlich ist mir noch mein Bein, welches zum Herbste mit der Ischias behaftet war, und auf welchem ich mich sehr unsicher fühle. Bis jetzt war ich dadurch in meinem Dienste durchaus nicht behindert, und ich würde es doppelt beklagen, wenn auch || das eintreten sollte. Denn mein Colleg macht mir noch Freude, und ich konnte auch nachdem ich es einmal begonnen, es ohne Unterbrechung zu Ende führen. Es ist mir auch keineswegs wie einem alten Karrengaul zu Muthe, welcher täglich die gewohnte Last ziehen muß. Der scheinbar so spröde anthropotomische Stoff ist mir noch nicht immobil geworden, und hin und wieder erweckt er noch neue Ideen. Daran erfreue ich mich dann. Wie lange das noch währen wird, weiß ich freilich nicht, doch was thuts, man lebt ja doch nicht so fort, und mit dem Ende kommt die Nirwana!
Was Du mir über O.H. Rede schriebst, hat mich von der Lecture des Opusculums befreit. Jeder machts eben wie er es kann, wenn er noch andere Zwecke dabei hat als er eingestehen mag, so gehört eben auch das zum Menschen! Zum Ganzen! Mir wollen auch viele Andere nicht gefallen. ||
Lebe nun wohl und sei herzlich gegrüßt von Deinem alten
C.G.