Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 10. Februar 1899

Heidelberg, 10. Febr. 99.

Liebster Freund!

Das ganze Jahr hindurch bin ich schon mit diesem Briefe beschäftigt, und jetzt erst, nachdem er schon begonnen hat, alt zu werden, komme ich zu der Ausführung. Du mußt also mit bereits recht gereiften guten Wünschen vorlieb nehmen. Wenn nun auch dabei meine freundschaftliche Gesinnung an Wärme nichts eingebüßt hat, so ist mir doch aus der Verzögerung ein Uebel erwachsen, denn ich hatte es auf mich genommen auch die Gratulation meiner Tochter an Frau Meyer durch Dich vermitteln zu lassen || und fühle mich jetzt, nach ersterer Nachfrage nach der Ausführung jenes Auftrags, überaus beschämt, denn eine altbackene Gratulation dieser Art hat ihren Geschmack verloren, wenn sie überhaupt noch etwas werth ist.

So bringt einem das Alter zu mancher Versäumniß und läßt Reue entstehen, die frisches Handeln vermieden hätte. Immerhin bin ich dankbar, noch meine Pflicht zu erfüllen, und fühle mich eigentlich dabei am wohlsten. Wie lange das noch dauern wird, wer kann das sagen? Der Winter gefällt mir nicht, in seiner Milde und leider nur kurze Kälte war mir neulich viel angenehmer. Hoffentlich hat der Thüringer Wald das föhnige Wetter von Euch abgehalten, wie es ja auch früher der Fall war. ||

Daß Du mit Ziegler zufrieden bist, hat zu vernehmen mich gefreut. Es muß Dir eine Wohlthat sein bei dem Wechsel ein gutes Loos gezogen zu haben. Ich freute mich auch Dich unter den Männern des Jahrhunderts zu sehen, und daß Darwin nicht vergessen ist, wie es so viele jetzt möchten. Freilich ist es mehr als bedenklich C. Vogt dabei zu finden, der doch nur unter die Hemmungen gehört. Was solche bedeuten zeigt Bismarck in seinem Buche, welches jüngst in meiner Familie mit Andacht gelesen ward. Es ist ein recht trostreiches Werk! Wenn es erst in die Nation eingedrungen sein wird, kann es der Zukunft Gutes bringen.

Mein Sohn macht mir jetzt manche Sorge, an die ich früher nicht denken durfte. Er hat vorigen Sommer überaus fleißig gearbeitet, bis in den Herbst hinein trotz aller Mahnungen, || und ist jetzt so sehr nervös geworden, daß ihm sein Studium verleidet scheint. Ich will sehen, ob vielleicht eine längere Reise, wenn er sie unternehmen will, ihm eine andere Stimmung geben kann. In allem Uebrigen bin ich ja ganz mit ihm zufrieden. So kommen auch vom scheinbar heiteren Himmel Wetter, ganz wie es auch in der Natur dieser letzten Jahre der Fall war.

Zum Schluße noch beste Wünsche, auch für das Gedeihen der jüngsten Enkelin, und herzliche Grüße von Haus zu Haus

Stets Dein alter

C. Gegenbaur

Brief Metadaten

ID
10180
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
10.02.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,4 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10180
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 10.02.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_10180