Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 31. Juli 1892

Heidelberg, 31. Juli | 92

Liebster Freund!

Während heute Jena ein großes und bedeutungsvolles Fest begeht sitze ich hier unter rollendem Donner an meinem Schreibtische um Dich und die Jenenser Freunde zu jenem Feste zu beglückwünschen. Das habt ihr brav gemacht! Nicht blos das heutige Ereigniß, sondern das Ganze, was seit Eurem und der Schwaben Kissinger Besuche sich abspielte. Durch Euch ist der Stein ins Rollen gekommen, und ich hoffe daß eine Bewegung wie sie jetzt einmal begonnen hat, nicht sobald zu ihrem Ende kommen wird, nicht eher als sie ihr Ziel erreicht. Fürbringers Briefe nach Mannheim und Karlsruhe hatten vortrefflich Wirkung. Noch am selben Tage traf ich Böthling || hier bei der Arbeit, die so gut gelungen ist. Aber auch hier wie bei Euch die gleiche Erscheinung. Die sonst mit ihrem Patriotismus sich brüsten und das große Wort zu führen als eine Art von Recht betrachten, hüllten sich in den Opportunistenmantel und riethen ab: Man dürfe der Regierung keine Verlegenheiten bereiten!! Zum Glücke haben sie nichts damit erreicht, als daß man sie besser kennen gelernt hat!

Wie gerne hätte ich mich dem mir in jeder Hinsicht sympathischen Unternehmen angeschlossen! Nicht sowohl die nicht kleinen Strapazen der Reise – diese hätten sich ja nicht unschwer mindern lassen – als die Gefahr mich einer großen Gemüthsbewegung auszusetzen, verboten mir die Theilnahme. Ich erkenne in Bismarck ein Stück verkörperter Weltgeschichte, und werde bewegt durch Alles was ihn || betroffen hat und ihn betrifft. Denn es ist ja unserer Nation Wohl und Wehe, das damit so innig verknüpft ist. Seit 70 hat mich nichts so sehr erfasst, und ich bin seitdem ein gutes Theil älter geworden!

Hier ist bei allen Theilnehmern an der Kissingen-Fahrt nur Eine Stimme, die der höchsten Befriedigung, und die Empfindung überwältigenden Eindruckes, wie das ja nicht anders zu erwarten war. Es hat mich sehr gefreut, dass Euer Großherzog seine patriotische Gesinnung fürstlich Dir a kund gab. Wie sehr wäre Nachfolge anderwärts zu wünschen! So muß denn das Volk sprechen, und recht laut möge es die Stimme erheben. Ich denke mir, daß auch bei Euch der Wahrheit ein Ehrentag begangen wird, und Thüringen wie Sachsen sich zu dem Gedanken bekennen werden, daß es nicht länger rückwärts gehen darf.

Wenn dem alten Bären neues Heil widerfahren, indem er den größten || deutschen Mann, seit Luther beherbergen darf, und wenn dann die lieben Kernberge ihre Flammenschrift lodern lassen, und auf dem Markte der alte Johann Friedrich, auch ein von kaiserlicher Acht betroffener Herr, auf den großen Jenenser Gast herabblickt, und die ihm huldigenden Männer bezeugen, daß das, was er geschaffen, fest gegründet ist, dann denke ich mich in inniger Theilnahme an Alledem und hoffe, daß Alles doch noch besser werden kann, so lange die Nation sich selbst treu bleibt. In dieser Gesinnung sende ich Dir herzliche Glückwünsche! –

Den ersten Theil der in 8 Tagen beginnenden Ferien werde ich wieder auf dem Heiligenberge zubringen, während meine Frau mit Else nach Schwalbach geht. Bei Dir ist hoffentlich Alles in erfreulichem Wohlsein. Mit besten Grüßen von Haust zu Haus

stets Dein alter

C. G.

a Von oben eingefügt: Dir

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.07.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10133
ID
10133