Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 29. Dezember 1886

Heidelberg 29. Dez. | 1886

Liebster Freund!

Dein lieber Brief hat durch die Schneestürme glücklich seinen Weg hieher gefunden, und ward als ein Lebenszeichen von Dir mit Freuden begrüßt. Dass er gute Nachrichten von Dir und den Deinen brachte, hat ihn doppelt schätzen lassen. Wir haben hier gleichfalls sehr winterliche Tage gehabt, wenn auch dem Schneefall, wie gewöhnlich, keine Dauer beschieden war. Um jetzt legen seine Producte nur noch auf den Höhen, und im Tal ist bereits die Schmutzmetamorphose vor sich gegangen. Das macht einem das zu Hause bleiben sehr leicht, und stimmt auch gut mit den Ferien. Ich arbeite jetzt anhaltend an der vergl. Anatomie, die eigentlich ganz neu geschrieben wird, da ich || vom alten so gut wie nichts brauchen kann. Da ich aber sehr viel zu lesen habe, wenn auch nur um seltenen Gebrauch davon zu machen, geht es im Ganzen langsam vorwärts. In die Nacht hinein zu arbeiten ist mir seit Jahren unmöglich geworden. Ich habe es mehrmals wieder versucht, büßte aber stets mit absoluter Schlaflosigkeit dafür. Deßhalb beschäftige ich mich nach dem Abendbrote nur mit Vorbereitungen, suche mir die betreffende Litteratur zusammen, wähle aus, was zu studiren, was nur anzusehen, oder was zu ignoriren sein wird.

Was Du mir über Berliner Strömungen schreibst hat mich sehr interessirt. Es soll mich freuen wenn die Sache gut ausfüllt. Wenn Oscar Hertwig hinkommt, || giebt es freilich wieder eine Lücke in Jena, denn Badeleben, der wohl sein Nachfolger wird, ist doch der denkbar schlechteste Ersatz, wird auch sofort wieder im anderen Lager sein!! Darauf kannst Du Gift nehmen!

Ich habe bisher immer vergeblich auf Waldeyers Rede gewartet. Er scheint noch nicht darüber im Reinen zu sein, wie er die Verdienste von His u. Kölliker um die Gastaeatheorie ins richtige Licht setzen möchte, damit auch diesen ihr Recht werde!

Zum Abschlusse Deiner Radiolarien gratuliere ich Dir bestens. Es wird Dir leicht ums Herz sein, das verrathen schon Deine Reisepläne von denen ich nur wünschen will, dass der politische Himmel sich Ihnen holder zeigen möge, als es bis jetzt den Anschein hat. Ich für meinen Teil vermag nichts Erfreuliches in der nächsten Zukunft zu erkennen. || Möchte ich mich getäuscht haben!

Mit besten Grüßen von Haus zu Haus und den herzlichsten Wünschen zum bevorstehenden neuen Jahre

unveränderlich

Dein treuer

CGegenbaur

Bitte auch Deinen Bruder von mir zu grüßen, sowie Deiner Mama alles Gute zu melden.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.12.1886
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10087
ID
10087