Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 28. Dezember 1884

Heidelberg, 28. Dez. 84.

Liebster Freund!

Dein lieber Brief hat mir rechte Freude gemacht, da er mir nicht nur zeigte daß Du die schönen Wälder Heiligenbergs noch in guter Erinnerung hast, sondern mir auch die Hoffnung gab im nächsten Jahre wieder ein frohes Zusammensein mit Dir feiern zu dürfen. Je mehr die Jahre schwinden, desto mehr wächst mir das Bedürfniß nach sympathischem Verkehre, wie ihn gleiches Streben und Harmonie der Empfindungen bei Dir finden ließ und gemeinsam verlebte Jahre wie ertragene Schicksale zu einem innigen und festen werden ließen.

Wir hielten nach der uns vorbestimmten Zeit in Heiligenberg, wo meine Frau leider wieder ihre alten Zufälle bekam, so daß ich manche Sorge || wegen des Heimkommens hatte. Es lief aber doch alles gut ab.

Wenigen Regen abgerechnet, der in den letzten Tagen eintrat, blieb das Wetter im Ganzen gut, und war auch noch in seinem Wechsel erfreulich, da es uns mehrmals herrliches Alpenpanorama bot. Während meine Familie über Constanz heimfuhr, machte ich den Rückweg durch Oberschwaben über Stuttgart, da mir die Südschweiz durch die Nähe der Cholera etwas bedenklich schien. So kam ich nach Mitte September wieder hieher und bin seitdem mit der Bearbeitung der Anatomie ziemlich beständig beschäftigt gewesen.

Das Wintersemester ließ sich für Mediziner recht gut a an, so daß ich dießmal die höchste Zahl Zuhörer erreicht habe. Um so schlechter steht es mit Juristen und wenn es so fort geht so ist von der Wirkung der hiesigen Tradition || bald nichts mehr zu verspüren! Etwas anderes als Tradition ist ohnehin schon lange nicht mehr da.

Fischer ist von der Herstellung seiner Häuslichkeit sehr befriedigt und scheint viel in Geselligkeit engerer Auswahl zu leben. Hin und wieder, wenn das Wetter es erlaubt, machen wir unsere Sonntag-Spaziergänge. Da wir diesen Winter ganz zurückgezogen leben wollen haben wir wechselseitig nur ein paar gesellige Begegnungen gehabt. Jedenfalls hat sich seine Stimmung wesentlich gebessert und ich wünsche ihm von Herzen Alles Gute!

Deiner lieben Frau hat hoffentlich die Kur gut bekommen und Du selbst bist recht erfrischt von der Schweiz zurückgekehrt. Es geht die Sage, Du seiest auf dem Rigi mit unserem Physiologen zusammengetroffen.

Was hältst Du von dem Spengelschen Darwin? Mir scheint das Opus minder ähnlich zu sein als das Leipziger, welches ich übrigens gleichfalls || nur ex effigie kenne. Ich habe übrigens laut auflachen müssen als ich Leukartchens Anpreisung des Leipziger Darwin las! Es war mir eine wirkliche Erheiterung. Nicht minder, darüber war ich erheitert wie die Münchener Zoologen-Stelle ausgeboten wird. Es erinnert an saueres Bier! Niemand will’s. Irgend etwas muß heruntergekommen sein. Die Stelle, oder die Leute? oder beides? Solchen armseligen Zuständen gegenüber die mit denen unserer politischen Zerfahrenheit wetteifern, bietet die Politik des Reichskanzlers ein erfrischendes Bild. Er scheint fast der einzige Mann zu sein der weiß was er will, und ich habe mich recht gefreut als meine Frau mir jüngst sein Bild bescheerte. Es ist mir absolut unbegreiflich, wie man deutscher Patriot sein will, und sich nicht freuen soll über die Größe jenes Mannes. Aber Schwenninger!! Ja, als wenn nicht jeder dieser Ehrenmänner ein halbes Duzend Schwenninger hätte.

Nun lebe wohl und empfange herzliche Grüße von Haus zu Haus, dazu beste Wünsche zum Jahreswechsel der unverändert treffen wird die freundschaftliche Gesinnung

Deines alten

CGegenbaur

a zwei Buchstaben gestrichen.

Brief Metadaten

ID
10070
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
28.12.1884
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,0 cm,
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10070
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 28.12.1884; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_10070