Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 18. Januar 1884

Heidelberg, 18 Januar | 1884

Liebster Freund!

Es ist zwar schon ein gutes Stückchen neues Jahr zurückgelegt, allein immer noch nicht so viel daß man für den Rest desselben nicht noch einen guten Wunsch senden dürfte, besonders wenn er aus freundlichem Herzen kommt und für einen lieben alten Freund bestimmt ist. Nimm ihn also für Dich wie die Deinen entgegen und denke wie ich, daß wechselnde Jahre uns zwar älter machen, allein nichts ändern können an unseren gegenseitigen Beziehungen. Ich habe in den letzten Wochen wieder manche Aufregung hinter mich gebracht, und bin in dieser Zeit zu nichts rechtem gekommen, nicht einmal zum Briefschreiben. Unsere Universitätsverhältnisse, um die ich mich, wie Du weißt seit langem nicht kümmere, hatten ganz im Stillen das Prorectorat für mich reifen lassen, und mit dieser Gabe wollte man mich überrumpeln! Ich denke jetzt so weit zu sein, daß meine definitive Ablehnung acceptirt wird, und || athme wieder etwas ruhiger auf. Es wäre für mich jetzt, da ich endlich post tat! mit meiner Anstalt in Ordnung bin, das grausamste Geschick von der Welt ein Jahr lang ein Danaidenfasse füllend zu arbeiten. So hoffe ich denn bei der eigenen Thätigkeit bleiben zu dürfen.

Über die Berliner Berufungen geht mir ein immer trüberes Licht auf, und ich denke immer bestimmter, daß beide: Schulze und Waldeyer ganz an ihren richtigen Platze sind. Der letzte hatte die große Freundlichkeit mir bezüglich meines ihm zu gesendeten Buches zu schreiben, er fasse die Anatomie in ähnlicher Weise wie H. und Meyer auf, der offenbar als Entgegnung auf mein Buch einen Dir vielleicht unbekannt gebliebenen Artikel im Biolog. Centralblatte losgelassen hatte. Dieser Artikel, resp. die in ihm vertretene Auffassung, ist so überaus bornirt, daß selbst unser Freund Kölliker in seiner neulichen Eröffnungsrede Opposition machte. Und ein Zoologe will solches Zeug vertreten! Ich halte S. jeder höheren || Auffassung für unfähig, glaube daß er fortfahren wird, recht gute mikroscopische Untersuchungen zu liefern, im übrigen bleibt die Katze hinter dem Ofen sitzen, wie zuvor. Das Bischen Darwinismus wird seine Suppe nicht fett machen. Ueber W. habe ich jüngst von einem Assistenten Schwalbe’s die wunderbarsten Dinge gehört. Sie geben mir die Ueberzeugung, daß in der Berliner Anatomie künftighin etwas mehr Mikroscopie und weniger Komik wird getrieben werden, daß aber im Uebrigen Alles beim Alten bleiben wird. Ob das Alles der Reichshauptstadt auf die Dauer nützen wird, habe ich nicht zu beantworten. –

Bei Fischer wird es bald auch große Veränderungen geben, da seine Tochter, wie Du schon weißt, bald heirathen wird. Mit dem Tode der Frau F. ist ein guter Geist vom Hause gewichen. So sehr ändern sich die Dinge.

Du wirst Dich in Deiner „Villa Medusa“ inzwischen gut eingelebt haben – wenn man diese Jahreszeit Winter nennen darf, und empfindest die Behaglichkeit des eigenen Besitzthums. Ich will aber hoffen daß die Ascidie sich nicht so völlig in Dir entfaltet, Daß Dir nicht noch soviel vom Conservationsappparat || bleibt, daß Du zur Wanderschaft noch tauglich bist. Wenn ich Dir auch keine fremden Länder und wilde Völker aufzusuchen zumuthen will. Schon um Deiner lieben Frau willen – so möchte ich doch gerne daß wir uns in diesem bequemen Jahre in den Ferien irgend wo begegneten und wieder ein paar gemüthliche Tage miteinander verbringen. Das Leben geht so rasch vorüber und man muß es auch in seinen Freunden zu genießen suchen.

Meiner Familie geht es gut. Die Verlobung Emmas hat mir etwas mehr Geselligkeit gebracht, als wir für uns selbst wünschen, so daß wir uns auf ruhigere Tage freuen. Das wird freilich noch nicht im Mai eintreten können, wo die Vermählung stattfinden wird.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus und zum Schlusse noch vielen Dank für die Reisebriefe.

Dein alter

C. Gbr.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.01.1884
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10065
ID
10065