Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 4. November 1880
Heidelberg, 4 Nov 80.
Liebster Freund!
Dein jüngster Brief hat mir von Euren Zuständen kein sehr erfreuliches Bild geliefert, und ich muß bekennen daß ich wieder von neuem froh bin mich bei Zeiten salvirt zu haben! Daß die Herren ihren Candidaten durchsetzen wollen, begreife ich, wenn ich auch Schultze etwas mehr Individuum zugetraut habe, als er in dieser Sache kund gibt. Daß er sich an Waldeyer wendet, ist mir persönlich sehr lieb. Ich bin ihn damit für alle Zeiten los, und das ist ein um so größerer Gewinn für mich, als er sich wohl bald wieder hieher wird wenden wollen. Wenn Waldeyer Aeby den Vorzug vor Hertwig gibt, so zeigt das nur, daß er eine Werthschätzung wissenschaftlicher Leistungen nicht versteht. Wie könnte er das auch, da er sich nie mit vergleichender Anatomie beschäftigte! Was hat er denn jemals auf diesem Gebiete geleistet? Die Aebysche Bronchienarbeit ist gewiß vortrefflich, das erkenne ich jederzeit gerne an. Aber es ist ein winziges Gebiet, das in ihr sich darstellt, und diesem gemäß hat die Arbeit keinerlei größere Tragweite, wenn || ich z. B. die O. Hertwigsche Untersuchung über das Mundskelet der Amphibien dagegen halte. Hier wird eine ungeheure Strecke hell erleuchtet, und die wichtigste Frage, die a über die Herkunft einer Reihe unverstandene Skeletgebilde, findet endgültige Erledigung. Doch daß ein unendlich weiterer Horizont sich aufthut, als bei der Frage, ob bei diesem Einzelthier diese, bei jenem jene Gruppe von Bronchien zur Entfaltung komme, muß selbst dem Anfänger in der vergleichenden Anatomie klar werden. Daß Oskar Hertwig noch nicht die Anatomie des Menschen gelehrt hat, noch nicht mit menschlicher Anatomie sich beschäftigte? Was hatte denn Waldeyer für Leistungen auf diesem Gebiete für sich als er die Straßburger Stelle annahm? Wo hatte er denn Anthropotomie docirt? Man kann auch fragen, was er jetzt, nach 10 Jahren für b große anthropotomische Leistungen aufzuweisen habe? Es ist überaus traurig, wenn Jemand so sehr der eigenen Herkunft vergißt, so sehr mit ungleichem Maaße mißt, wie es in diesem Falle sich trifft.
Mich soll nicht wunder nehmen wenn die Herren auch noch Gutachten von His und anderen beischleppen. Die Hauptsache scheint mir doch, daß Oska] Hertwig als guter Lehrer in Jena bekannt ist, daß er bereits dort ist, und daß niemand auch Waldeyer nicht, ihm seine || eminenten Leistungen absprechen kann. Was dagegen Gutachten für Jena wildfremder Leute besagen wollen, weiß ich wirklich nicht. Mit solchen Gutachten passiren oft wunderliche Dinge. Jüngst suchte man in Freiburg Franke‘s Stelle zu besetzen. Eine Parthei der Facultät stimmte für Ranke in München, die andere für Hermann in Zürich. Gleiche Stimmen! Das Ministerium schickte den Bericht als unbrauchbar zurück. Man holte dann auch Gutachten ein. Bei Ludwig: Hermann ist vortrefflich, Ranke gänzlich unfähig, will man aber keinen von beiden, so kann ich mit einem ausgezeichneten jungen, frisch aus der Fabrik, antworten. Bei Dubois: Ranke ist ausgezeichnet Hermann dagegen unbedeutend etc. das Ministerium nahm dann den Ludwig‘schen Jungen zum Extraordinarius und ernannte zum zweiten Extraordinarius einen Freiburger Docenten, der nicht mindere Ansprüche hatte. Ist das, und zwar Alles, nicht höchst merkwürdig?
Ich hoffe aber immer, daß es in Jena besser geht, wenn Senat und Ministerium nicht sich etwa bearbeiten lassen. Dafür mußt Du freilich sorgen, und wirst es auch gut verstehen. Sichere Dir nur auch Preyer. Am besten ist es, wenn die Sache rasch erledigt wird. Wie sie auch verlaufen mag, das eine || rathe ich Dir, schreibe nichts darüber ins Publikum. Das wirbelt ganz unnöthig Staub auf, und nützt unserer Sache, die doch nicht so ganz an diesem Falle hängt, nicht nur nichts, sondern sie kann ihr immens schaden. Das einzige wodurch man sie überhaupt fördert, ist Arbeit. Nochmals also: Laß jene Dinge und rühre Dich lieber jetzt, solange es noch Zeit ist.
Was Schwalbe über mich äußert, kann ich natürlich hier nicht wissen. Soweit ich mich unserer sehr kurzen Unterhaltung noch entsinne – er kam kurz vor 1 Uhr und ging um 1 Uhr wieder – so beschwerte er sich darüber, daß Ried seinen Sohn als seinen Stellvertreter oder dergleichen einzuführen beabsichtigte, was ich für Unrecht hielt, und, wenn es so ist jetzt noch dafür halte. Er sprach nur von Siebert und Schillbach, wo ich ihm wieder beistimmen mochte, so wie das ja ein auch Dir bekanntes Thema ist. Diese Sachen haben aber mit der anatomischen Stelle gar nichts zu thun, und Ried‘s persönliches Interesse ist doch in diesen Fragen ganz unbetheiligt.
Von Fürbringer erhielt ich heute einen langen und trefflichen Brief. Es würde ihm freilich sehr förderlich sein, wenn wenigstens eine Anfrage an ihn gelangte. Zu Gunsten Hertwigs würde er jedoch nicht annehmen. Wie sehr ich ihm Alles gönne,| so scheinen mir doch alle Complicationen vermieden werden zu müssen. Du kannst Dir denken mit welcher Stimmung ich dem Ausgange entgegensehe.
Dieses Semester ist auch für mich recht gut. Ich habe 40 im Colleg und 60 im Präparirsaal. Es ist beides für mich die höchste Zahl. Virchow‘s Sohn, der seine Würzburger Stelle aufgegeben, ist jetzt hier bei mir. Ich hatte sehr davon abgerathen, da ich diesen Winter nicht arbeiten lasse, vorgestern kam er doch. Ich mußte ihm sagen, daß ich keine Zeit hätte, und daß er gar nichts von mir erwarten dürfe. Jedenfalls will ich Herr meiner Zeit bleiben, die mir sehr nöthig ist. Noch bin ich nicht zum Drucke gekommen, da der Holzschneider mich sitzen ließ. Es scheint auch in Leipzig an Energie zu fehlen. Der alte Engelmann drängte mich, den Sohn muß ich drängen.
Mit besten Wünschen und herzlichem Gruße Dein
CG.
a Über dem Text eingef; b eingef. große